chublade     «Im Grunde geht es darum», sagte der Rabbi ganz ernst, «jeden Aspekt eines Problems von jedem möglichen Blickpunkt aus zu betrachten! Vermutlich meint das Ihr Lexikon, wenn es andeutet, einige der Fälle wären höchst unwahrscheinlich. Diese alten Talmudisten hatten viel Zeit, die jüngeren übrigens auch, und sie befaßten sich auch nicht, wie zum Beispiel das Gewohnheitsrecht, mit dem Irrelevanten, dem Nebensächlichen und dem Nichtzuständigen. Nehmen wir doch mal diese leere Schublade -»

«Ja, was hätten Ihre Talmudisten zu einer leeren Kommodenschublade gesagt?»

Der Rabbi grinste. «Auf jeden Fall hätten sie zwei Möglichkeiten erwogen: a) daß die Schublade nie voll gewesen war; und b) daß sie voll war und dann geleert worden ist.»

«Ich kapier es nicht», sagte Schroeder. «Ich will nichts Ehrenrühriges gegen diesen Talmud sagen, was immer das sein mag, aber was für einen Unterschied macht es, ob das Ding voll war und geleert worden ist oder ob es nie benutzt wurde? Jetzt zumindest ist es leer.»

«Nun, wenn die Schublade nie benutzt worden wäre, würden Sie sich dann nicht nach dem Grund fragen? Offenbar liegt es nicht daran, daß er nichts zum Hineintun hatte. Sehen Sie doch mal, wie er da die Pullover auf die Unterhemden gestapelt hat.»

«Na, vielleicht hat er sich nicht gern gebückt.»

«Er mußte sich aber bücken. Seine Schuhe standen unten im Kleiderschrank», stellte der Rabbi fest.

«Schon gut», unterbrach Ames ungeduldig. «Nehmen wir also an,. ursprünglich hat sich etwas in der Schublade befunden. Was ergibt das ? »

«Die nächste Frage: wer hat sie ausgeräumt? Es war entweder Hendryx oder jemand anderes.»

«Donnerwetter, ist das logisch!» sagte Schroeder ironisch. «Sie können auch sagen, daß entweder ich das war oder ein anderer, oder George Washington oder sonst wer.»

Ames grinste, aber der Rabbi fuhr fort, als wäre er nie unterbrochen worden. «Oder es könnten beide gewesen sein.»

«Ich glaube nicht, daß zwei Leute gebraucht werden, um eine Kommodenschublade auszuräumen», sagte Ames.

«Ich meine nicht, daß sie es zusammen gemacht haben. Ich wollte andeuten, daß Hendryx wahrscheinlich die Schublade geleert hat, um für etwas anderes Platz zu schaffen. Und daß dieses andere danach wieder entfernt wurde.» - Harry Kemelman, Am Dienstag sah der Rabbi rot. Reinbek bei Hamburg 1975 (rororo thriller 2346, zuerst 1973)

Schublade (2)  Wenn eine Frau statt Brüste Schubladen hat, braucht sich kein Tier zu wundern, daß die Giraffe brennt, die Dalí anzündet, oder daß der Maler als Telefonhörer einen Hummer benutzt.

»Ein Volksmund und ein Virtuos erhängen eine dressierte Laus«, versprach eine spannende Schau zu werden, doch blieb das Huhn verunsichert, ob es von Jean Arp persönlich angesprochen war: »Dada ratet dir in den Spiegeln der andern Eier zu legen.« Und die Giraffe vernahm von einer ihr bisher unbekannten Geheimsehnsucht: »Den Wetterhahn und die Giraffe / Bei Süd und Westwind einerlei / Zieht es zu den Lerchen hin / Bei Nord und West sind sie dabei.« Vielleicht gehörte dies zu den »willkürlichen Schicksalen«, in denen sich Robert Desnos so gut auskannte: »Durch geschlossene Fenster wollen die Vögel unermüdlich / reden wie Aquarienfische.«

Die Aufgeschlosseneren hörten ohne Bedenken zu, wie André Breton aus jener Zeit« erzählte: »Zu jener Zeit war rund um die Place de la Bastille von nichts anderem die Rede als von einer ungeheuren Wespe, die am Morgen aus vollem Hals singend den Boulevard Richard Lenoir herunterkam und den Kindern Rätsel aufgab... Das Gebrumm des Insekts, unerträglich wie eine Lungenentzündung, übertönte in diesem Moment den Lärm der Straßenbahnen, die als Stromabnehmer eine Libelle führten.« - (loe2)

Schublade (3)  

Schublade (4)  

- N. N.

Schublade (5)  Wenn es gegen das Fenster klopft, darf ich nicht hinsehen, denn was dort steht und klopft, ist einfach zu schrecklich anzuschauen für ein Kind. Der Fabrikant allein kann es ertragen. Er wird es packen und in den Keller zerren und dort zerlegen und in Büchsen einmachen, die er neben den Dosen mit dem gestriemten Pferdefleisch aufbewahrt, von dem nur er zum Frühstück isst. Meine Hände schmerzen von der auferlegten Bewegungslosigkeit. Ich rutsche auf den Knien zum Schrank und ziehe die Schublade mit dem Kinn auf. Es liegen dort die beiden Kaninchen. Ich sehe, wie sie sich verwandeln. Erst zersetzt sich das Fell, dann zerfällt darunter die Haut. Sie formen sich zu Blättern und Gräsern. Das graue Sehnenfleisch wird ein Schilfrohr, die roten Augen Vogelbeeren, die Zähne Kilometersteine am Straßenrand, die Ohren Wagenräder, um mich damit auf den Grund des Sees zu ziehen. Ich lasse mich nach hinten fallen und übe auf dem Rücken liegend Ersticken, bis der Fabrikant kommt und die Schublade mit einem Tritt zustößt.

Ich tauche die Kaninchenleiber in einen Topf mit Wasser, damit das Gewürm herausgeschwemmt wird.  - (raf)

 

Schrank

 

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