chrumpfung   Jetzt ist alles stiller, eine geschrumpfte Welt ohne Horizonte. Dennoch gewahre ich bisweilen eine riesige Löwenpranke auf meiner Fensterbank, und meine Drei Besucherinnen kommen wie eh und je - die mit dem einen Zahn (aber was für ein reißender Wolfszahn das wäre, gäbe es außer der bloßen Leere etwas zu beißen!) - die mit dem einen Auge, sie schaut in die von den undurchsichtigen Schwaden der Bombe verhüllte trübe Zukunft - die mit dem einen Ohr wartet auf eine Botschaft aus dem Jenseits.

Sie kommen nach wie vor zu mir. Aber bald werden die drei Nornen ihre Besuche einstellen. Dann wird alles vorüber sein, abgesehen vom Schreien und den Würmern.   - Edith Sitwell, Mein exzentrisches Leben. Frankfurt am Main 1994 (Fischer-Tb. 12126, zuerst 1965)

Schrumpfung (2)  Ich habe früher getrunken. Ich bin selten betrunken gewesen, aber ich trank regelmäßig.

Es ist damit wie mit dem übrigen. Wie mit den Frauen und Kindern, die mich nacheinander verlassen haben. Mit dem Alkohol eben hat das begonnen, als ich sechzig wurde und ihn nicht mehr vertrug.

»Nur ein Glas Wein zum Essen«, hat mir damals Candille geraten.

Da ich es nicht fertigbrachte, mich auf ein Glas zu beschränken, habe ich lieber ganz darauf verzichtet. Später habe ich mein Zigarettenquantum um die Hälfte gekürzt.

Eines Tages habe ich, ohne es zu wissen, meine letzte Partie Golf gespielt. Eine Verstauchung hat mich mehrere Wochen daran gehindert, und danach habe ich gemerkt, daß ich schnell außer Atem kam. Dann das Reiten . ..

Dann das Wasserskifahren ... Denn ich bin einer der ersten gewesen, die in Cannes Wasserski gefahren sind, und ich habe es bis vor sechs oder sieben Jahren regelmäßig gemacht. Das Leben schrumpft. Das ist nun einmal so. Aber jedesmal wenn man ein Wort mit einem Federstrich ausstreicht, wenn man sich eine neue Tätigkeit verbietet, tut das ein bißchen weh. Ich bin nicht krank. Candille behauptet, meine sämtlichen Organe seien kerngesund und, medizinisch gesprochen, sei ich zehn Jahre jünger, als ich bin. - Georges Simenon, Der Haselnußstrauch. Köln 1970 (zuerst 1969)

Schrumpfung (3) Tsantsa ist indianischen Ursprungs, und zwar ist es nur den Javaro-Stämmen bekannt, die am Äquator leben, in Gebieten, die von Europäern selten aufgesucht wurden. Es bezeichnet eine seltsame Kriegstrophäe: den abgeschnittenen (nicht skalpierten) Kopf eines Feindes, der durch mehr oder weniger geheime Verfahren vor Fäulnis bewahrt wurde und außerdem in seinen Ausmaßen so stark eingeschrumpft ist, daß seine Größe zwischen der einer Orange und eines Enteneies schwankt. Aber seltsam, diese Schrumpfung,  dieses Zusammenziehen der Gewebe entstellt die Züge des Opfers keineswegs. Sein Gesicht bleibt durchaus erkennbar; es hat bloß einen andern Maßstab. Mit andern Worten: man hat den! Eindruck, es durch die falsche Seite eines Opernglases zu betrachten.

Wenn wir den Theorien der Forschungsreisenden Glauben schenken wollen, scheint das bewährte Rezept zur Herstellung dieser schaurigen Trophäe das folgende zu sein:

»Man nehme den Kopf des getöteten Feindes, ohne jedoch seine Haare auszureißen; dieser Kopf muß frisch vom Rumpf getrennt worden sein. Mit Hilfe eines scharfen Instrumentes mache man rund um den Schädel einen Einschnitt, von der Nackensenkung ausgehend. Es ist wichtig, daß dieser Schnitt durch die Haare geführt wird und an der Stirne endigt, da, wo die Haare beginnen. Diese Technik gestattet es, den Einschnitt zu verdecken.

Mit leichten und zugleich energischen Griffen - nach dem dritten oder vierten Kopf geht das schon ausgezeichnet - hebe man die Einschnittränder ab und löse nach und nach die ganze Kopfhaut und alle Gesichtsmuskeln von den Knochen und achte sehr darauf, nichts zu zerreißen.

Die schlaffe Maske fülle man mit einem runden Stein aus, der jedoch etwas kleiner als der Schädel des Feindes sein muß. Dieser Stein muß die Temperatur des kochenden Öles haben,in dem man ihn erhitzt hat.

Man vernähe die Wunde, befeuchte die Gesichtshaut mit gegorenem Fruchtsaft (Wein eignet sich sehr gut für diese Waschung), in welchem Schalen von Granatäpfeln oder von anderen an Gerbstoff reichen Früchten vorher eingeweicht worden sind.

Dieses Produkt setze man acht Stunden der Sonne aus, wobei man darauf achte, daß sich die Fliegen nicht an das leckere Mahl heranmachen.

Tags darauf trenne man die Naht wieder auf und ersetze den Stein durch einen gleichen, eben so heißen; nur müssen seine Dimensionen etwas kleiner sein.

Man wiederhole diese Operation Tag für Tag, bis die Gewebe nicht mehr weiter einschrumpfen. Dann endlich hat man ihn vor sich, den erträumten Kopf, und man genießt der Mühe Preis.

Damit der Erfolg der großen Anstrengung nicht vereitelt werde, ist es indessen ratsam, ein großes Stück Kampfer in den Mund der Tsantsa zu stecken, aber wohlverstanden, vor der ersten Behandlung. Denn später lassen sich die hart gewordenen Lippen, die man übrigens mit Zwirn zunähen sollte, nicht mehr öffnen.«  - Maurice Sandoz, Die Tsantsa. In: M. S., Am Rande. Zürich 1967

Schrumpfung (4)  Die Frage ist: Was passiert eigentlich m unserem Gehirn? „Der Einfluss von Smartphones auf das Gehirn wird immer noch heftig debattiert", sagt Phil Reed von der Swansea University in Wales. „Es gibt zwei Themenkomplexe, die des Smartphones selbst - manche Menschen fürchten, dass es gefährlich sei, etwa wegen der Strahlung. Zum anderen die Funktionen des Smartphones. Das scheint einen Einfluss auf das Gehirn zu haben, vor allem im Schrumpfen des präfrontalen Kortex, also der Struktur, die für die Planung und Impulskontrolle zuständig ist. Was den Einfluss von starker Internetnutzung angeht, gibt es klare Effekte auf die Kognition und Stimmung des Einzelnen. Wenn eine Person zum Beispiel impulsiv ist oder verhaltensauffällig ist, werden diese Probleme verschärft."  - Adrian Lobe, Tagesspiegel vom 14. Juni 2014

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