chreckensmann
Ihre Kennzeichen sind mannigfach und immer wieder hübsch gleichmäßig vorhanden
: arm geboren sind sie. Unter unglücklichen Familienverhältnissen aufgewachsen.
Brennend scharfen Geistes übervoll - und dieser, da auf einen bösen Boden gepflanzt,
nichts weniger als angenehm. Ihre spätere Entwicklung ist häufig eine Frage
der körperlichen Konstitution : wem Allah die Knochen eines Ochsen verliehen
hat, daß er mit jeder Hand einen Zentner heben kann, überlebt die grausamen
Entbehrungen leichter, hat weniger Angst, wird wütender, - wenn auch vielleicht
nicht ganz so giftig - als Der, der bei jedem Wort husten muß. Ihre schöpferische
Kraft ist meist gering; desto größer ihre zerstörerische. Allbedeutend können
sie da werden, wo die ‹Erfindung› - ihre schwächste Seite - entfällt :
Sie sind, mit ihrer überscharf gewetzten Beobachtungsgabe, ihrer allumfassenden
Rücksichtslosigkeit, die geborenen Autobiographen. Dadurch, daß an ihnen das
Mißverhältnis zwischen einem Geist erster Größenordnung und seiner armseligen
Umgebung handgreiflich, - im wahrsten Sinne des Wortes ‹schreiend› - wird, erhalten
sie den Rang von Sprechern des Vierten Standes. Die ‹besser gestellten› Gesellschaftsschichten,
die ‹Gebildeten›, lernen ja von früh auf, flüssig
zu reden — vom Handeln und Regieren noch ganz zu schweigen; das arme, seine
Energien in körperlicher Arbeit völlig verbrauchende Volk aber, das sprachlos=preisgegebene,
ist fast immer ohne adäquates Mundstück: hier springen die ‹Schreckensmänner›
ein! Oder präzis=düsterer: sie springen ins Leere ! Denn sie haben höchstes
literarisches Niveau : deswegen liest sie der Arbeiter nicht! Und über die verwildert=
medusischen, ätzend herausgezischten, Interieurs von jenseits des Styx rümpft
der Gebildete die feine Nase ! Auch nach dem Tode noch trifft sie also der gleiche
Fluch, wie zur Zeit ihres bißchen Lebens - sie gehören nur sich selbst, und
ihren finsteren Chorgenossen : im Leben versagt man ihnen das Brot; im Tode
sogar den Stein ! - Arno Schmidt, Die Schreckensmänner. Karl Philipp Moritz
zum Gedächtnis. Zürich 1990 (zuerst 1958)
Schreckensmann
(2) Wie man sich denken kann, redete dieser Spitzel,
ein Schreckensmann von 1793, in einem fort davon, man müsse ins Schloß marschieren
und alle Bourbonen hinschlachten. Seine Frau war so liederlich und mannstoll,
daß sie mir freie Reden auf französisch vollends verleidet hat. Diese
Art Unterhaltung liebe ich auf italienisch über alles. Schon in meiner frühesten
Jugend, als ich Leutnant bei den 6. Dragonern war, stieß sie mich bei Madame
Henriet, der Frau des Rittmeisters, aufs höchste ab. Diese Madame Lavenelle
war trocken wie Pergament, zudem strohdumm und bar jeder Leidenschaft, unfähig
einer tieferen Regung. Nur die strammen Schenkel
einer Grenadierkompanie, die in weißen Kasimirhosen durch den Tuileriengarten
marschierte, konnten sie erregen. - (
ele
)
Schreckensmann
(3) Der dritte Ideolog des revolutionären
Verbrechens (neben Bakunin
und Netschajev), auch er ein Schüler
Bakunins, war Petr Tkacev. Er war der obskurste und zugleich, der
konsequenteste Schreckensmann auf dem Schlachtfeld der Theorie. Er schlug
vor, alle Russen unter fünfundzwanzig Jahren auszurotten, weil sie unfähig
seien, die Ideen der Revolution zu verwirklichen. Er proklamierte den permanenten
Terror als Selbstzweck; Terror und Revolution
verhalten sich, ihm zufolge, nicht länger wie Mittel und Zweck, sie fallen
zusammen. Die Anführer der Revolution genießen unumschränkte Gewalt. Ihre
Untergebenen sind Werkzeuge, denen gegenüber alle Mittel erlaubt sind.
Wenn der Zar tot ist, erhebt die Revolution ihr Haupt: das Haupt eines
neuen Zaren, der fürchterlicher und absoluter regieren wird als der alte.
- Vorwort zu: Boris Savinkov,
Erinnerungen eines Terroristen. Nördlingen 1985 (Die Andere Bibliothek,
zuerst 1917/18)
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