Schrecken, religiöser  Plötzlich geschah etwas Unerwartetes. Unerwartet wahrscheinlich eher für einen westlichen Beobachter als für einen Bewohner von Patna. Immerhin weiß man, daß solche Dinge, wenn sie sich ereignen, immer etwas Neuartiges und Heiliges enthalten. Es handelt sich dabei um das Wirklich-werden von etwas Schicksalhaftem, das uns bedroht, von dem wir aber immer denken, es beträfe die anderen oder die Zukunft. Trifft es uns und trifft es uns heute, sind wir fassungslos und werden zu Opfern religiösen Schreckens.

Und genau das widerfuhr auch den unschuldigen Kuli-Jungen und den alten Lastenträgern, die dort in jener warmen Nacht der Regenzeit auf dem Platz vor dem xxx Hotel herumlungerten.

Schlagartig hörten sie auf zu reden, in ihren Augen, die bis vor einer Sekunde noch erfüllt waren von geschwätzigem, zuversichtlichem Gleichmut, stand jetzt das Flackern des Entsetzens.

Anlaß für das alles war Sardar. Denn plötzlich hatte sich sein makellos reines Gesicht mit eitrigen, entzündeten Flek-ken überzogen, und seine schönen schwarzen Augen voll heiteren Glanzes waren zu zwei grauenvollen Schlitzen geworden, denn ringsherum war das Fleisch aufgedunsen. Bald schon verwandelten sich die Hautflecken in Wunden, die Schwellung an den Augen platzte auf und verfärbte sich blauviolett wie ein Trachom. Aus den Wunden rann Eiter, er zeichnete Rinnsale von ekelerregendem ölig gelbem Schleim auf Sardars Hals und aufsein weißes Hemd, während aus den aufgeplatzten Schwellungen um die Augen Blut herunterrann, noch rein, das sich dann mit dem Eiter vermischte. Ganz allmählich, so wie das Blut und der Eiter an Sardars Körper herunterflössen, bedeckte sich auch dieser Körper mit Wunden und Wucherungen, aus denen ebenfalls wieder Blut und Eiter austraten und herunterrannen.

Sardar - der gerade noch Zeit hatte, staunend zu begreifen, was da mit seinem Körper geschah, und einen letzten stummen, hilfesuchenden Blick zu den anderen schickte -stürzte in den Schlamm. Und dort blieb er liegen wie ein grauenvoller Fleischbrei, der einen unerträglichen Gestank aussandte. Alle stoben kreischend und schreiend auseinander. Sogleich wachten die auf, die bereits geschlafen hatten, und traten an die Türen oder die Verschlage ihrer Hütten. Alle Lichter des xsx Hotels wurden wieder eingeschaltet. Jetzt hatten die Leute etwas Handfestes und Dringendes, worüber sie sprechen konnten. - Pier Paolo Pasolini, Petrolio. Berlin 1994

 

Gefühl, religiöses

 

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Schauder
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