chränker   Boissier kam mit einem Aktenstück wieder, dem er zunächst anthropometrische Fotos von Alfred Jussiaume entnahm.

»Da, so sieht er aus

Alles in allem mehr ein Asketenkopf als der eines Verbrechers. Die Haut klebte an den Knochen, die Nasenflügel waren lang und liefen spitz zu, und der Blick war von einer beinahe mystischen Intensität. Selbst an diesen harten Aufnahmen von vom und von der Seite, ohne Kragen, mit dem hervorquellenden Adamsapfel, spürte man die ungeheure Einsamkeit dieses Mannes, dessen Traurigkeit jedoch nichts Aggressives besaß.

Da er als Wild geboren war, kam es ihm ganz natürlich vor, daß er gejagt wurde. - Georges Simenon, Maigret und die Bohnenstange. München 1975 (Heyne Simenon-Kriminalromane 15, zuerst 1951)

Schränker (2)   Die Ziege folgte ihm neugierig und senkte den Kopf, um zwischen seinen Beinen hindurchzuspähen, als er die Zündschnur in Brand setzte. Er hatte nicht bemerkt, daß das Tier ihm gefolgt war. Sobald die Zündschnur brannte, machte er kehrt und wollte aus dem Haus rennen. Die Ziege glaubte, er wolle auf sie losgehen und fuhr gleichfalls herum. Aber sie drehte sich in der falschen Richtung, und er bemerkte sie erst, als es zu spät war. Er stolperte über das Tier und stürzte vornüber der Länge nach zu Boden.

«Paß auf, dummes Vieh», schrie er, während er fiel.

Er hatte vergessen, die Flinte wieder zu sichern, die er noch mit dem Kolben nach vom in der Hand hielt. Der Kolben schlug hart auf den Boden auf, und beide Läufe entluden sich. Die schweren Rehposten trafen die Vorderseite des Safes, hinter der sich ein viertel Liter Nitroglyzerin befand.

Seltsamerweise barst das Haus nur nach drei Richtungen - nach vorn, nach hinten und nach oben. Die Vorderseite flog über die Straße, und Gegenstände wie Bett, Tische, Kommoden und ein handgemalter, emaillierter Nachttopf prasselten gegen die Fassade des gegenüberliegenden Hauses. Sister Heavenlys Garderobe, darunter Stücke, die noch aus den zwanziger Jahren stammten, wurden wie eine vielfarbige, gespenstige Decke über die Straße verstreut. Die Rückseite des Hauses zusammen mit Herd, Kühlschrank, Tisch und Stühlen, Onkel Saints Pritsche und verschlossener Kiste, Geschirr und Küchenutensilien gingen über den rückwärtigen Zaun und auf das unerschlossene Baugelände nieder. Die Wellblechgarage wurde in einem Stück um dreißig Meter versetzt und ließ den Lincoln nackt in der Sonne zurück. Das Dach des Hauses einschließlich des Dachbodens mit dem alten Klavier, Sister Heavenlys Thronsessel und ihrer Truhe mit den Erinnerungsstücken segelten dagegen senkrecht nach oben, und lange nachdem die Explosion schon verklungen war, konnte man das Klavier da oben noch einsam für sich klingen hören.

Die äußere Tür des Safes wurde weggesprengt und flog mit dem Küchenherd nach hinten davon. Die innere Stahltür wurde zerrissen wie eine aufgeblasene Papiertüte, die der Schlag einer harten Faust trifft, und der Safe selbst ging den Weg nach vorn. Fetzen von Hundert-Dollar-Noten trieben durch die Luft wie grüne Blätter bei einem Hurrikan. Später am Tage sammelten noch zehn Blocks entfernt die Leute sie auf, und manche Nachbarn verbrachten den ganzen Winter mit Versuchen, die einzelnen Fetzen wieder zu ganzen Banknoten zusammenzusetzen.

Aber der Fußboden des Hauses blieb unbeschädigt. Er war von jedem losen Fetzen, jeder Stecknadel, jedem Staubkörnchen reingefegt, eine glatte, saubere Fläche aus Holz und Linoleum.

Es war später schwierig, zu entscheiden, welche Richtung Onkel Saint und die Ziege genommen hatten, aber welche es auch immer war, sie waren zusammen gegangen, denn die beiden Assistenten des Polizeiarztes in Bronx County konnten die Bröckchen Ziegenfleisch von den Bröckchen von Onkel Saints Fleisch nicht unterscheiden, und das war alles, was sie an Resten fanden. - Chester Himes, Heroin für Harlem. Reinbek bei Hamburg 1968 (zuerst 1966)

Schränker (3)   Monte sah groß und würdevoll aus. Er maß sechs Fuß, wirkte aber viel größer, well er dünn und knochig war. Er hatte einen ovalen Schädel, die Augen waren bald grau, bald grün, je nachdem, wie das Licht darauffiel. Sie konnten kalt blicken wie Schlangenaugen. Ich habe ihn einmal einen Mann anblicken sehen, bis dieser wegging, ohne ein Wort zu sagen. Sein Gesicht war regelmäßig, mit einem klugen und schlauen Ausdruck, aber die Stirn war niedrig, und seine Züge wirkten immer so, als ob sie über etwas brüten würden. Monte war sehr stolz auf seine schlanken Hände, die gewöhnlich in Handschuhen steckten. Seine größte Eitelkeit war es, sich alle möglichen Handschuhe zu kaufen, bestickt und sorgfältig abgenäht, in verschiedenen Farben und aus feinstem Leder. Er hatte auch immer eine schöne Sammlung von Stöcken, sogar einen Degenstock, den er aber, soviel ich weiß, nie in Gebrauch nehmen mußte. Seine Füße vertrugen kein schweres Schuhzeug-Er bevorzugte dünne Lederschuhe, mit etwas höheren Absätzen, als allgemein üblich war. Er trug auch gern graue schwedische Zylinderhüte. Monte gab nichts auf auffällige Kleidung. Er bevorzugte braune und lohfarbene Kombinationen oder tiefdunkle, schwarze oder dunkelblaue Anzüge. Er hatte keine Veranlassung, alle Blicke auf sich zu ziehen. An Schmuckstücken hatte er nur einige Krawattennadeln und eine umfangreiche Sammlung von Manschettenknöpfen. Er trug gern blaue und grüne Steine, durchsichtigen Bernstein und grünfarbenen Jade. Seine einzige nervöse Bewegung bestand darin, an seinen Manschetten' zu zerren, wenn er ein längeres interessantes Gespräch führte. Er schien immer irgendwie abwesend zu sein, weit entfernt von allem und jedem.

Von Zeit zu Zeit trug er einen dünnen Chinesenschnurrbart, manchmal wurde der Bart sogar lang und dicht, „sehr englisch und buschig", wie er es nannte. Er hatte einige Zeit in England gelebt und nannte ein Mädchen manchmal eine „bint". Monte war seit seiner Jugend kriminell. Er war in einer Tresorfabrik angestellt gewesen und hatte dort alles Wissenswerte über Zugfedern, Schlösser und Schlüssel erlernt.  - Nell Kimball, Madame - Meine Mädchen, meine Häuser. Hg. Stephen Longstreet. Frankfurt am Main, Wien und Berlin 1982 (entst. ca. 1917-1932)

Schränker (4) Es war ein eiserner Schrank von beeindruckenden, ja erschreckenden Ausmassen ...

Wenn sich am Boden des Kellers eine Vielzahl von Klapptüren, Fallen und sonstigen komplizierten Vorrichtungen befand, so einfach deshalb, weil man diesen Panzerschrank gegen jedwedes Herankommen hatte sichern wollen ... Und zum selben Zwecke waren die Kellerwände über und über mit elektrischen Drähten bespannt, die fürchterlich starken Strom führten ...

Fantomas jedoch schien sich um all diese Vorrichtungen nicht im mindesten zu kümmern ... Kaum war er in diesen Keller eingedrungen, da hatte er (die Strahlen seiner Lampe schon auf den Geldschrank gerichtet; er hatte die Stahlkammer mit Augen angestarrt, die funkelten und m denen Geldgier und Gelüst in feurigen Blicken aufleuchteten ... Er schien an nichts anderes mehr denken zu können als an die unschätzbaren Reichtümer, die mit Sicherheit im Inneren dieses Panzerschranks schlummerten, zwar unter dem Schütze des Geheimschlosses, das dessen Öffnung regelte ...

Und es dauerte nicht lange, bis Fantomas, gleichsam von einem Taumel ergriffen, grosssprecherisch ausrief:

- Da bist du also, du Panzerschrank von Monte Carlo! Du unversiegbarer Quell der Gewinne, die in den Spielsälen eingeheimst werden, du bodenloser Abgrund, wo seit eh und je und bis in alle Ewigkeit ganze Vermögen zugrunde gehen! Da bist du also, du unangreifbarer, unnahbarer Panzerschrank, dem ich mich genähert habe und den ich nun angreifen will!...

Fantomas unterbrach seine Worte, weil er lachen musste!

Er brach in ein gellendes, höllisches Lachen aus, das unter den Gewölben der Kellerräume düster widerhallte, und dann sprach er in rasendem Hochmut und mit wilder Begehrlichkeit weiter:

- Um bis zu dir vorzudringen, um die Genugtuung zu haben, dich zu sehen, um dieses ganz und gar unmögliche Wagnis auf mich zu nehmen, das j;,   mir jetzt gelingen wird, nämlich dich zu öffnen, das in dir verwahrte Gold herauszuholen und die Banknotenbündel mitzunehmen, die du hütest, dafür habe ich keine Kosten gescheut! Bisher hat man mir nachgesagt, ich sei der König der Mordanschläge ... Man glaubte, ich hätte nun die höchsten Gipfel des Verbrechens, die ä'ussersten Grenzen der Kühnheit erreicht ...das war ein Irrtum! ... Dies hier nun sollte mir zu einer Apotheose verhelfen: Du, Panzerschrank von Monte Carlo, deinen Wächter, den Kassierer Louis Meynan, habe ich umgebracht, um deinen Schlüssel zu bekommen ... Und deinen Schlüssel, du, Panzerschrank von Monte Carlo, den habe ich listigerweise deinem rechtmässigen Besitzer zurückgegeben, um ihn zu beschwichtigen... Aber, du, Panzerschrank von Monte Carlo, ausser diesem Schlüssel, den ich nachgemacht hatte, von dem ich also ein Doppel besass, brauchte ich noch deine Kennzahl, die Kombination zu deinem Schloss, und diese Geheimziffer habe ich herauskriegen können, ich besitze sie; deine Kombination, die kenne ich jetzt; die Kennzahl, die deine Stahltüren öffnet, die habe ich im Kopf! ... Um dir Gewalt anzutun, habe ich zu einer List gegriffen, die niemandem gelungen wäre und auf die, ausser mir, niemand je gekommen wäre!

Doch Fantomas unterbrach seine Rede. Wiederum lachte das Monstrum.

Diesmal jedoch war es nicht das höllische Lachen, das ihn einige Minuten vorher überwältigt hatte, es war ein sarkastisches, ironisches, ergötztes Lachen, das seinen Lippen entfuhr ...

- Aber du, gestand sich der Bandit selbst ein, aber du, Geldschrank, an den meine Worte sich wenden, du fühlloser Geldschrank, der du ja nichts anderes bist als Materie, dir ist das ja alles völlig gleich, nicht war? Was dich neugierig stimmt, wenn du überhaupt Überlegungen anstellst, ist die Frage, wie ich diese Ziffer 6 321 habe herausbekommen können, die es mir gestattet, mich zum Herren deines Schlosses zu machen, nicht wahr?...

Und wieder unterbrach Fantomas seine Rede ... Mit leiserer Stimme und nur noch im Selbstgespräch fuhr er einige Augenblicke danach fort:

— Was mich verdriesst, ist die Ahnung, dass Juve aus dieser ganzen Sache nie schlau werden wird ... Ach, was macht das schon ... Immerhin bin ich sicher, dass er meiner Findigkeit Beifall gezollt hätte! ... Das war ja wirklich gar keine schlechte Idee, im Keller neben dem Stahlschrank einen Phonographen versteckt einzubauen, damit seine Rolle die Anzahl der vom Schloss ertönenden Knarrlaute aufnehmen konnte, wenn man die zur Öffnung nötige Ziffernkombination drehte ... Nein, wirklich gar keine schlechte Idee! ... Aber, gleichviel! Die Hauptsache ist, dass ich mich nicht geirrt habe!

Fantomas legte die elektrische Lampe, die ihm dazu diente, das Dunkel zu durchleuchten, neben sich auf den Boden. Aus seiner Tasche holte er einen Schlüssel, den er ganz behutsam in das Schloss des Panzerschranks steckte. Dann begann er, mit seiner ein wenig zitternden Hand an den geränderten Knöpfen zu drehen, welche die zur Kombination gehörenden Zahlen zum - Die Knarrlaute des Phonographen haben das Geräusch aufgenommen, das dieses Schloss verursacht, wenn man die Kombination zusammenstellt, und ich habe die Geheimziffer gefunden, sie ist 6 321... Gott sei Dank, versuchen wir also die 6 321!...

Als der Bandit die Kombination zusammengestellt hatte, perlte kalter Schweiss von seiner Stirn ...

Würde er jetzt öffnen können? Würde er wirklich das unverletzbare Geheimnis des Stahlschranks des Casinos von Monte Carlo verletzen können?

Fantomas, dem so war, als schwänden ihm die Sinne, bemühte sich, seine Ruhe wieder zu gewinnen ...

Und seine Selbstbeherrschung war so gross, dass er in Sekundenschnelle wieder so kaltblütig war wie zuvor. Mit der Hand, die nun nicht mehr zitterte, drehte er den Schlüssel einmal, zweimal herum... Lautlos wie ein wohl unterhaltener Organismus funktionierte das Präzisionswerk des Schlosses, dann hörte man das Ausrasten ... und die beiden Türen des Panzerschranks taten sich auf!...

Da wich Fantomas geblendet um drei Schritte zurück und wagte kaum, die Haufen Goldstücke und die dicken Bündel Banknoten anzusehen, die er da vor sich, zu seiner Verfügung, seiner Geldgier ausgeliefert sah, einem sagenhaften Schatze, einem Märchenschatze vergleichbar!    - Pierre Souvestre & Marcel Allain: Fantômas: Mord in Monte Carlo. Berlin 1986 (zuerst 1911)

 

Schrank Verbrecher

 

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