Schöpfung, verzwickte  Als sie drei Jahre verheiratet waren, bemerkte er an seiner Frau eine Veränderung. Sie wurde nachdenklich, als sei sie bewegt von einem neuen starken Gefühl, das ihm verborgen blieb. Manchmal hörte sie überhaupt nicht, was er zu ihr sagte. Es schien ihm auch, als ziehe sie es jetzt vor, sich der Welt bei Gelegenheiten zu zeigen, wo er nicht bei ihr war, und anderen fernzubleiben, bei denen sie an seiner Seite hätte erscheinen müssen. Ich habe sie verwöhnt, überlegte er, möglicherweise verlocken ihr Ehrgeiz und ihre Eitelkeit sie zu dem Wunsch, gegen die Ordnung der Natur ihren Ehemann zu überstrahlen, dem sie doch alles verdankt. Der Gedanke an eine solche Undankbarkeit verletzte seine Gefühle begreiflicherweise sehr, und als sie eines Abends allein waren, entschloß er sich, sie zur Rechenschaft zu ziehen.

»Sie sind sich gewiß darüber klar, meine Liebe«, sagte er zu ihr, »daß ich nicht die Absicht habe, die Rolle des Ehemanns im Märchen zu spielen, der, kraft seiner Verbindung mit höheren Mächten, seine Frau zum Rang einer Königin und Kaiserin erhob, nur, um schließlich von ihr zu hören, daß sie sich wünschte, die Sonne nach ihrem Befehl aufgehen lassen zu können. Erinnern Sie sich, aus welchen Verhältnissen ich Sie geholt habe, und denken Sie an die Antwort, die der allzu nachsichtige Ehemann von den höheren Mächten erhielt, als er den Wunsch seines Weibes vorbrachte, und die da lautete: Geh nur heim, sie sitzt schon wieder in ihrer Hütte.«

Die Frau gab lang keine Antwort; schließlich erhob sie sich von ihrem Sitz, als wolle sie das Zimmer verlassen. Sie war groß, biegsam wie ein Weidenzweig, und ihre weiten Röcke raschelten leise bei jeder Bewegung.

»Mein Gemahl«, sagte sie mit ihrer tiefen, klingenden Stimme, »Sie sind sich gewiß klar darüber, daß es einer ehrgeizigen Frau hart ankommt, beim Betreten eines Ballsaals das Bewußtsein zu haben, daß sie am Arm eines Hahnreis erscheint.«

Als sie, ruhig und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, hinausgegangen war, blieb unser Aristokrat sitzen und verharrte in einem ihm bis dahin unbekannten Staunen über das verzwickte Wesen der Schöpfung.   - Tania Blixen, Widerhall. Letzte Erzählungen. München 1968

 

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