chnorrer  Um sechs Uhr morgens klopft ein Schnorrer bei einem reichen Mann an die Tür.

»Was soll das?« schreit der. »Wie kannst du es wagen, mich um diese Zeit zu wecken?«

»Das müssen Sie schon mir überlassen!« sagt der Schnorrer beleidigt. »Ich sage Ihnen ja auch nicht, wie Sie Ihr Geschäft führen sollen.« - (ji)

Schnorrer (2) Jede jüdische Gemeinde hatte ehedem mindestens einen Schnorrer und oft eine ganze Kompanie. Der Schnorrer war kein einfacher Bettler. Schließlich ist ja auch ein nudnik kein einfacher Langweiler und ein mamser kein einfaches Kind. Der jüdische Schnorrer war weder kleinlaut noch demütig, er jammerte und schmeichelte nicht, sondern betrachtete sich als Profi und Künstler. Er bat nicht um Almosen, sondern nahm seine berechtigten Ansprüche wahr. Er erwartete, dass man seine Fähigkeiten anerkannte, wenn nicht gar lobte.

Die Schnorrer betrachteten sich als Mitglieder einer etablierten Berufsgruppe. Sie waren aufdringlich, dreist, zynisch, rasch beleidigt und schlagfertig. Ihre Chuzpe war legendär. Prospektive Wohltäter wurden rücksichtslos unter Druck gesetzt und aufgezogen. War die Gabe nicht groß genug, musste man damit rechnen, dass sie der Schnorrer zurückwies, mehr verlangte oder den Spender öffentlichem Spott aussetzte. »Aus schierer Arroganz und Eitelkeit waren sie nicht bereit, sich zu demütigen«, schreibt Nathan Ausubel (A Treasury of Jewish Folklore, Crown, 1948). »Da er von seinem Witz leben musste, entwickelte der Schnorrer die Talente eines Abenteurers und Hochstaplers ... «

Die Schnorrer schienen sehr genau zu wissen, dass alle Juden aufgrund ihrer Religion und Lebenseinstellung grundsätzlich von Schuldgefühlen geplagt werden. Viele sahen sich als Schnorrer von Gottes Gnaden und glaubten, sie stünden im Dienste des Herrn, weil sie ihren Mitmenschen halfen, gute Werke zu tun. Wer anderen die Gelegenheit zu guten Werken verschaffte, musste ja notgedrungen Bestandteil von Gottes Plan sein!

Gleichzeitig nutzten sie einen psychologischen Mechanismus, der allen Menschen vertraut ist: »Gott sei Dank, dass ich nicht arm bin und mich mit einer kleinen Münze loskaufen kann, wenn mir Gott das Elend der Mitmenschen zeigt.«

Auch von der jüdischen Gemeinschaft wurde die soziale Funktion des Schnorrers durchaus anerkannt. Als Kind konnte ich nie ganz begreifen, weshalb er geschätzt wurde, aber jeder schien ihn für selbstverständlich zu halten. Erklärungen waren nicht nötig.

Die richtigen Schnorrer waren keineswegs dumm oder einfältig. Sie waren oft sehr belesen, konnten den Talmud zitieren und die Zitate auch richtig anwenden. In der Synagoge waren sie Stammgäste, und zwischen den Gebeten nahmen sie an langen theologischen Diskussionen mit ihren Wohltätern teil. Bei Gesellschaften verstanden sie, ihr Publikum mit Witzen, Ankedoten, Geschichten und »Schnurren« zu unterhalten, sie wurden auch gern herangezogen, wenn für einen Gottesdienst oder eine Trauerfeier ein Minjan gebraucht wurde. - (ji)

Schnorrer (3)   Ohne Schnorrer könnte die Welt nicht bestehen. Wie geschrieben steht: ‹Reue und Gebet und Wohltun wenden das Übel ab.› Das Wohltun steht an letzter Stelle - es ist der Höhepunkt, das Größte auf Erden, und der Schnorrer ist der Größte auf Erden. Im Talmud steht geschrieben: ‹Wer veranlaßt, ist größer als wer ausführt.› Darum ist der Schnorrer, der die gute Tat bewirkt, noch größer als jener, der sie vollbringt. - Israel Zangwill, Der König der Schnorrer. München 1994 (zuerst 1894)

Schnorrer (4)  Ein armer Jude kommt zu Rothschild: "Ich habe heute noch nichts gegessen". - "Se müssen sich zwingen." - Nach:  Ernst Jünger, Strahlungen

Witz Beruf Schmarotzer
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