chneeflocken
Worauf fallen Schneeflocken: Auf entlaubte kirschengärten, ins
dunkle wasser eines brunnenlochs, auf die herunterklappbaren pelzmützen finnischer
sterngucker, ins gesicht einer schönen puppe, die ein kleines mädchen schnell
über die Straße trägt, auf faulende buchenblätter, vor eine weihnachtliche buchhandlung
in Saksköbing, ganz schnell zerfließend auf noch heiße brotwecken, auf die stadt
Warschau, auf die metallenen teile eines karabiners, in die nähe einer rosa
katzenzunge, vor die augen der wachtposten, auf eine nase, zwischen die fetzen
einer entfernten musik.
- (
hca
)
Schneeflocke
(2) Was liegt auf meiner Hand, wie ich den Fels
bestreiche? Zwei große sechseckige Sterne, herrliche ebenmäßige Schneekristalle.
Meine Haut ist kalt, sie schmelzen nicht. Welche Schönheit der Befiederung.
Sie schaukeln an Härchen auf meinem Handrücken, weisen sich mir von allen Seiten.
Vollkommen, vollkommen sind sie geworden, mit drei Strahlen vom Zentrum. Nichts
an ihnen ist mißraten. Frei hat die Kälte sie empfangen; im Schoß der Kälte
sind sie ausgebildet, aus reinem Wasser. Jetzt sind sie von den Härchen heruntergeglitten,
auf meine Haut. Ach, meine Hand, was tut sie? Sie ist eine Löwenhöhle. Sie schmiegen
sich an, liegen innig platt. Und sintern, sintern. Ihre Ecken heben sich, die
Mitte sinkt. Sie schrumpfen, werden durchsichtig. Sind Tropfen, Tropfen. Der
Schnee ist zu mir gekommen, in mein Haus, hat mein Kleid angezogen, meine Wärme
genommen -und ist gestorben. So wie Buddho in dem Haus des Goldschmieds das
Gift nahm und lautlos starb. In solch kleinem Spielraum verläuft unser Dasein.
Dann schmelzen wir, erlöschen, werden zwischen zwei Platten erdrückt. «Wir»
sage ich; ich und die Schneeflocke, die Myriaden Schneeflocken mit mir, auf
die ich stampfe, stampfen muß, die ich rüstig immerfort mit meinem Atem schmelze.
- Alfred Döblin, Reise
in Polen. München 1987 (zuerst 1925)
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