chlüsselloch   Mit einiger Mühe gelang es dem Mann in dem dicken Mantel, das Zimmer neben dem des ersten Reisenden zu bekommen. Es war ein schäbiges Zimmer, so schäbig wie alle ärmlichen Zimmer auf der Welt. Aber es hatte eine Verbindungstür zu dem Nebenzimmer, und in dieser Tür befand sich ein Schlüsselloch.

So konnte der Mann beobachten, wie der andere den Koffer öffnete, der nichts anderes enthielt als alte Zeitungen.

Er sah, wie sein Zimmernachbar totenblaß wurde, wie er den Koffer mit zitternden Händen hin und her drehte, wie er die Zeitungen im Zimmer verstreute.

Die Brötchen lagen immer noch eingewickelt auf dem Tisch, aber der junge Mann würdigte sie keines Blickes, obwohl er seit vier Uhr nachmittags nichts mehr gegessen hatte.

Dann lief er zum Bahnhof zurück, aber er schlug die falsche Richtung ein und fragte zehnmal nach dem Wege, wobei er das fremde, deutsche Wort so entstellte, daß die Leute ihn kaum verstanden: »Bannoff!«

Er war so nervös, daß er das Schnaufen einer Lokomotive nachahmte, um sich verständlich zu machen.

Endlich erreichte er den Bahnhof. Er irrte in der großen Halle umher, bemerkte die Berge von Koffern in der Gepäckablage und schlich wie ein Dieb heran, um sich zu vergewissern, daß sein Koffer sich nicht dort befand.

Und er zuckte jedesmal zusammen, wenn ein Reisender mit einem ähnlichen Koffer vorbeikam.

Sein Nachbar war ihm gefolgt und ließ ihn nicht aus den Augen.

Erst um Mitternacht kehrten sie nacheinander in das Hotel zurück.

Der Blick durch das Schlüsselloch zeigte den jungen Mann auf einem Stuhl zusammengesunken, den Kopf in die Hände vergraben. Als er nach einer Weile aufstand, schnippte er, wütend und resigniert zugleich, mit den Fingern.

Und das war das Ende: Er zog eine Pistole aus der Tasche, riß den Mund weit auf und drückte ab. - Georges Simenon, Maigret unter den Anarchisten. München 1972 (Heyne Simenon-Kriminalromane 92, zuerst 1931)

Schlüsselloch (2)

Dieser Bucklige,
Der durchs Schlüsselloch kommt,
Sticht Nadeln in meine Augen,
Spielt mit deinen Hinterbacken, deinen Brüsten,
Pißt auf ein Buch von Mao
- anscheinend den zweiten Band -
verzehrt einen lackierten Fasan,
rülpst und wedelt die Luft mit der Hand zurück,
während er langsam und brav seinen Kot absetzt
auf deine Mousse au chocolat:

- Manuel Vázquez Montalbán, Verloren im Labyrinth. Reinbek bei Hamburg 1993

Schlüsselloch (3)  Man sagt mir, daß sich die größte Schönheit des Universums im Nebenzimmer befinde. Oh! mich dem Schlüsselloch nähern! aber man hält hier ein Saufgelage ab; das Zimmer ist voller Straßenräuber, und vor dem Schlüsselloch raucht Napoleon schalkhaft, rittlings auf einem Stuhl sitzend, Pfeife. Ich werde nicht sehen, was hinter der Türe ist, aber ich ahne es. Oh! daß diese Türe sich niemals öffne!  -  Max Jacob, Höllenvisionen. Frankfurt am Main 1985 (zuerst 1924)
 

 

Voyeur Schloß

 


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