chlamm   ICH  liebe den Wald. In den Städten ist schlecht zu leben: da gibt es zu viele der Brünstigen. Ist es nicht besser, in die Hände eines Mörders zu geraten, als in die Träume eines brünstigen Weibes? Und seht mir doch diese Männer an; ihr Auge sagt es - sie wissen nichts Besseres auf Erden, als bei einem Weibe zu liegen. Schlamm ist auf dem Grunde ihrer Seele; und wehe, wenn ihr Schlamm gar noch Geist hat! Daß ihr doch wenigstens als Tiere vollkommen wäret! Aber zum Tiere gehört die Unschuld. - Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra. Stuttgart 1964 (zuerst 1885)

Schlamm (2)  Ich erinnere mich noch an Gespräche, die ich als Kind mit meinem Großvater führte. Er war der Typ des Handwerkers des neunzehnten Jahrhunderts, hochintelligent und mit Charakter. Zehn Jahre alt, hatte er die Schule verlassen und sich dann bis in sein hohes Alter eifrig weitergebildet. Er besaß den ganzen leidenschaftlichen Bildungsglauben seiner Klasse. Dennoch hatte sein Glück - oder, wie ich jetzt vermute, hatten seine Kraft und sein Geschick, sich in der Welt durchzusetzen - für einen großen Erfolg nicht ausgereicht. Er brachte es nicht weiter als bis zum Werkmeister in einem Straßenbahndepot. Seine Enkel fanden ein solches Leben unglaublich mühselig und entbehrungsvoll. Aber er selber war da etwas anderer Ansicht. Er war klug genug, um zu wissen, daß er nicht gut behandelt worden war; er war zu stolz, um nicht einen gerechten Groll zu hegen; er war enttäuscht, daß er es nicht weiter gebracht hatte — und doch hatte er, wenn er seinerseits an seinen Großvater dachte, das Gefühl, sehr viel erreicht zu haben. Sein Großvater muß Landarbeiter gewesen sein. Ich weiß nicht mehr von ihm als seinen Vornamen. Er gehörte zu denen im Dunkeln, wie die alten russischen Liberalen sie nannten, und verlor sich völlig in dem großen namenlosen Schlamm der Geschichte.  - C. P. Snow, Die zwei Kulturen. In: Die zwei Kulturen. Literarische und naturwissenschftliche Intelligenz. Hg. Helmut Kreuzer, München 1987 (zuerst 1959/69)

Schlamm (3)   Schlammschlamm. Matsch. Paatz. s. Gaatsch. Ein nackter Fuß tritt auf den oliv Gaatsch, drückt ihn ein, noch tiefer ein, noch sind Fuß und Gaatsch zwei, aber jetzt reißt die Haut des Gaatsches ein, und der flüssigere Gaatsch erströmt sich über den reingewesenen Fuß. Zehen, Rist, Knöchel, alles steckt jetzt im Gaatsch, tief im Gaatsch, und nicht anders als schwer begaatscht kommt es wieder aus dem Gaatsch heraus. Dieses weiche Kneten des Fußes im Gaatsch, dieser Widerstand beim Heraussteigen aus dem Gaatsch, dieses volle Eingeschmiertsein mit Gaatsch, so windelinfantil, so geborgen, so diluvial. (Höhlenlehm, Pampas-Ton, Löß, Torfmoor; Mammut gaatschtretend, Frosch gaatschspritzend, Aff gaatschschmeißend.) Ein Fuß gaatscht den anderen. Zwei begaatschte Männerfüße begaatschen zwei noch weiße Frauenfüße; die Frau lacht und zieht den Mann mit sich in beintiefen Gaatsch. - (oko)

Schlamm (4)  Weil er beständig mißachtet wurde, gefällt der Schlamm den edlen Seelen.

Unser Geist schmäht ihn, unsre Füße und Räder malmen ihn platt. Das Gehen erschwert er, und er beschmutzt: das verzeiht man ihm nicht.

Das ist Dreck! sagt man von Leuten, die man verabscheut, oder von niedrigen, absichtlichen Beschimpfungen. Ohne sich um die Schande, die man ihm antut, das fortwährende Unrecht, das man ihm zufügt, zu kümmern. Wer verdiente eine solche ständige Demütigung? Eine solche gräßliche Hartnäckigkeit!

Mißachteter Schlamm, ich mag dich. Ich mag dich, weil du von allen verachtet wirst.

Schlamm im wahren Wortsinn, spritz deinen Verleumdern aus meinem Text ins Gesicht!   - Francis Ponge, Unvollendete Ode auf den Schlamm, in: (frp)

Schlamm (5) In einer Höhle schwängerte Zeus, der die Gestalt einer Schlange angenommen hatte, Persephone, [seine Tochter mit seiner Schwester Demeter]. Persephone gebar daraufhin Zagreus, dem Zeus wegen seiner großen Zuneigung zu Persephone sein göttliches Erbe zusprach. Zeus liebte Persephone, obwohl sie seine Nichte und Tochter war.

Zeus kannte die Eifersucht seiner Gattin Hera und ließ seinen neugeborenen Sohn Zagreus in einer Höhle verstecken und von Kureten bewachen, welche mit Schildertrommeln das Kindergeplärr übertönen sollten.

Auf Heras Befehl machten Titanen Zagreus ausfindig und versuchten, diesen aus seiner bewachten Höhle zu locken, um ihn zu töten. Zuerst versprachen sie ihm Äpfel, die es ihm ermöglichen sollten, die Gestalt einer Frau anzunehmen. Anschließend versprachen sie ihm die Gabe, Tierlaute zu verstehen. Zagreus ließ sich aber erst vom dritten Geschenk, einem Spiegel, aus der Höhle locken. Zagreus, der sich jederzeit in Tiergestalten verwandeln konnte, vergaß, beeindruckt von seinem Spiegelbild, die Vorsicht, worauf die Titanen sich auf ihn stürzten. Zagreus verwandelte sich im Kampf gegen die Titanen in einen Löwen und anschließend in einen Stier, unterlag ihnen jedoch.

Er wurde von ihnen in sieben Teile zerrissen, in einem Kessel, der auf einem Dreifuß stand, gekocht, über dem Feuer gebraten und verschlungen.

Doch die Hörner des gebratenen Kindes erinnern daran, dass es sich um ein geopfertes Zicklein oder Kälbchen handelt, dessen Leiden denen des Gottes genau entsprachen.

Über diesen Frevel erzürnt, erschlug der Göttervater Zeus mit seinen Blitzen die Titanen, die zu Staub zerfielen. Der Staub der Titanen vermischte sich im Regen mit den übrig gebliebenen Resten des verspeisten Zagreus und bildete eine eigenartige, schlammige Masse. Aus diesem göttlichen Schlamm formte Prometheus den Menschen, der eine gute und eine schlechte Seite aufweist. - Wikipedia

Schlamm (6)  Man konnte keinen Schritt tun, ohne knietief im Brei zu versinken. Es war so, als würden am Grunde jeder Radspur kraftvoll-schlabbrige Hände die Holzschuhe der Elenden packen, denen die Lieferanten der Intendantur - überzeugt von der Zahlungsunfähigkeit des Lagers - hartnäckig eine Beschuhung verweigerten.

Wenn die Männer den täglichen Dienst vollbracht hatten, waren sie mit ihren Kräften am Ende und halb tot vor Erschöpfung. Man sah junge, robuste Wesen, vielleicht die intelligentesten, aus denen man Soldaten machen konnte, die, jeglicher Energie beraubt, stehenblieben, bis zu den Knien, bis zum Bauch im Schlamm, und vor Verzweiflung weinten.

Diese Strafe, sich niemals hinlegen zu können, muss man gekannt haben! Denn diese zum Tode verurteilte Menge — aber für welches Verbrechen nur war sie verurteilt worden, großer Gott? - sah von neuem jenes namenlose Etwas beginnen, jenen maßlosen Schrecken, der sich erst ein einziges Mal ereignet hatte: jenen berühmten Schiffbruch der Medusa. Eine Menschenmenge, über Wochen hinaus dazu gezwungen, STEHEND mit den Beinen im Wasser vor sich hin zu agonisieren.  - Léon Bloy, Blutschweiß. Berlin 2011 (zuerst 1893)

 

Sumpf

 

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