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Schlagen (2) Er hat acht Kinder in die Welt gesetzt und alles getan, um sie wieder abflatschen zu sehen. Meine älteste Schwester ist allen seinen furchtbaren Bemühungen zum Trotz am Leben geblieben, aber für immer entstellt. Sie ist nach den Vereinigten Staaten gegangen, wie in ein tausend Meilen entferntes Versteck, für immer verstört, das Nasenbein schlecht verheilt, das er ihr zertrümmert hatte, als sie noch nicht drei Jahre alt war. Ich bin Franzose geworden, der Drittgeborene wurde ein verstockter, blasser Streber und Angeber, die kleinste Schwester zu einem verschüchterten Wesen. Den jüngsten Bruder habe ich nicht mehr aufwachsen sehen, zwei Geschwister sind in der Wiege gestorben — hat er dazu geholfen? —, und Maja hat sich beharrlich geweigert, mit ihm zu leben. Sie hat aufgehört zu leben — ihr geduldiges, stummes Nein war nicht, was man Sterben nennt.
Ich wußte nicht, woraus mir allein unter allen Kindern die Kraft erwuchs, dem Alten in einem jahrelangen Kampf zu widerstehen und damit seine zerstörende Gewalt auf mich allein zu lenken. Zu jener Zeit lag alles in einem Nebel des Entsetzens, den Farbtöne durchbrachen, die allein mir alles vermittelten. Die lichten, Freude und Mut spendenden Farben kamen mir von der Mutter, nicht nur ihrer auserlesenen Eigenschaften halber, sondern auch, weil sie die stete Gegenwart ihres Heimatdorfes be= deutete, in dem ich die einzigen glücklichen Jahre meiner Kindheit verbracht hatte, während der Alte im Felde war.
Ich spürte, daß der mörderische Haß des Alten durch meinen Widerstand verursacht war, aber ich konnte mich nicht unterwerfen, denn es ging um mehr als um mein Leben. Er schlug selten hart in aufbrausendem Zorn. Wollte er mich strafen, so wurde er bleich und befahl mich in die Waschküche, die eigentlich ein Keller war, von einer Treppe im Hof aus zugänglich. Diese gewissenhaften Vorbereitungen waren fast entsetzlicher als die Strafe selbst. Der Raum war halb dunkel und feucht von vergangenen Waschtagen. Der Boden war mit Steinen belegt, die Wände grau. Er folgte mir und schloß sorgfältig die Tür, ehe er sich mir zuwandte.
Es ist erstaunlich, daß er mich nicht erschlagen, ja nicht einmal schwer verletzt hat. Ich erinnere mich eines schweren eichenen Wanderstocks mit eiserner Spitze, den ich mit meinem ersten selbstverdienten Geld gekauft hatte — ich liebte gewichtige Stöcke und breite Gürtel, ich weiß nicht, warum. Er war dick wie der Stiel eines Vorschlaghammers, und der Alte schlug ihn mir auf dem Rücken in drei Stücke, nur um mich dafür zu strafen, daß ich mein Geld dafür ausgegeben hatte. Gewöhnlich jedoch verwandte er den Spannriemen, den die Schuster gebrauchen, um ihre Arbeit fest zwischen den Knien zu verankern. Mittels einer großen eisernen Schnalle war er zu einer vollendeten Schlaufe geschlossen. Das Leder des Riemens hinterließ nur breite, blaue Striemen auf mir, die Schnalle jedoch riß blutende Wunden in meinen Rücken, an denen tagelang meine Leibwäsche klebte, worauf sie eiterten.
Immer wieder wollte ich mutig bleiben, aber schon der Gang nach dem Keller war stets zu viel. Ich schrie nach den ersten Hieben um Hilfe, flehte und suchte nach einem Loch in der Wand. Ich näßte und beschmutzte meine Kleider. Und darüber begannen seine Züge sich zu verzerren. Er geiferte vor rasender Wut, und seine Zähne bleckten fast wollüstig. Er schlug immer gewaltiger und packte mich mit einem einzigen Sprung, wenn ich zu entfliehen versuchte. Er schlug, als wehrte er sich in einem Kampf auf Leben und Tod.
So sehr ich mich dessen nachträglich schämte, ich dachte in meiner Not an
Kindererzählungen, klammerte mich an ihn und schrie »Lieber Papa, lieber Papa!«
Er aber stieß mich von sich, um den günstigen Abstand zum Schlagen wiederherzustellen.
Es kam vor, daß er seinen Spannriemen beiseite warf und mit geballten Fäusten
auf mich einschlug, und in solchen Minuten blitzte die Mordlust in seinen Augen.
- Georg K. Glaser, Geheimnis und Gewalt. Reinbek b. Hamburg 1983 (zuerst
1969)
Schlagen (3) In den Jahrzehnten des Erwachsenseins
habe ich zweimal einen Menschen geschlagen: einmal, in einer Ballnacht, meine
Jugendfreundin, nachdem sie in Gesellschaft, vor meinen Augen, einen anderen
geküßt hatte; und ein paar Jahre davor -; ich bin da eigentlich noch ein Heranwachsender
gewesen - einen Buben aus einer der unteren Klassen im Schülerheim, wo ich für
einen Nachmittag als Studiersaal-Aufsicht eingesetzt worden war. Das junge Mädchen
hat mich allerdings, als wir beide den Ball verlassen hatten, von selber zur
Gewalt aufgefordert, und der eine, mich selbst überraschende Schlag, dem trotz
ihrer Bitten keine weiteren folgten, ist bereits die Lösung gewesen. Meine Handlung
ist mir seinerzeit geradezu eine Genugtuung gewesen. Recht betrachtet, war es
gar keine Handlung, sondern eine Reaktion im einzig möglichen Augenblick, vergleichbar
dem Sprung oder Wurf eines Sportlers, der, für einmal, genau weiß: Jetzt, und
nie mehr. So habe ich mir kein Gewissen daraus gemacht, und es kam auch kein
Vorwurf in Frage. So heftig der Schlag war: ich habe damit — ich weiß das —
keinen Schmerz zugefügt, sondern das gegenseitige Brennen bewirkt, das zugleich
die Wende war. Die Lähmung wich von uns beiden. In diesem
Fall bin ich unschuldig. Die Ohrfeige im Studiersaal, geschehen aus einem
geringfügigen Anlaß, geht mir dagegen immer noch nach. Ich habe mich da, bis
dahin nur irgendwer, als ein Täter gezeigt. - Peter Handke, Der
Chinese
des
Schmerz
es.
Frankfurt am Main 1986 (zuerst 1983)
Schlagen (4) Ich messe dem Material meiner Werke
eine immer größere Bedeutung bei. Ein prächtiges, farbkräftiges Material scheint
mir notwendig, um dem Betrachter jenen Schlag mitten
ins Gesicht zu versetzen, der ihn treffen soll, noch bevor die Reflexion einsetzt.
- Joan Miró, nach: Raymond Queneau, Striche, Zeichen und Buchstaben.
München 1990 (zuerst 1950)
Schlagen (5)
- Martin van Maele
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