chlafbursche Ich
hatte gerade wieder einen Schlafburschen zu beherbergen. Das war der Prager
Lyriker Viktor Hadwiger, der plötzlich im Café
des Westens aufgetaucht war und mir dort eine Empfehlung, ich glaube von Hugo
Salus, überbrachte. Ein großer schwerer Mensch, dem die ungeordneten blonden
Haarsträhnen und der kräftige Knebelbart ein ziemlich wildes Aussehen gaben,
das, zumal in Verbindung mit seinem äußerst robusten Auftreten, die tiefe Bildschönheit
seiner Verse nicht ahnen ließ. Der wurde jetzt also mein Zimmernachbar, und
ich wurde der ständige Zeuge seiner Maßlosigkeiten. Hadwiger war maßlos in allem:
im Trinken, Rauchen und Fluchen, im Überschwang der Glückseligkeit und im Weltschmerz.
Hatte er kein Geld, um Tabak oder Schnaps zu kaufen, war er bei einer Frau abgefahren,
ärgerte er sich über irgendwas, dann konnte er mörderlich schimpfen; ich habe
keinen anderen Menschen getroffen, dem in der Wut eine solche Sturzflut haarsträubendster
Unflätigkeiten zur Verfügung stand. War ihm aber etwas zum Guten ausgegangen,
hatte er unerwartet Geld bekommen, war ihm ein Gedicht gelungen hatte sich ein
Mädchen von ihm küssen lassen, dann leuchteten seine großen, hellblauen Augen,
seine Stimme wurde weich und schmeichelnd, und man spürte ein inneres Tanzen
in dem mächtigen Körper des Mannes.
- Erich Mühsam, nach dem Nachwort zu: Victor Hadwiger, Il Pantegan. Abraham Abt. Prosa. München 1984 (zuerst
1912/1919)
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