Schlaf, Magritte

Schlaf, Magritte

Ich gehe an Mauern entlang, ein Abendland:
"So'ne Scheiße!" haben Kinder an die Mauer gekritzelt.

Ich sah verfaulte Bäume, am Fluß, ich sah, ich redete,

ich taumelte gegen Grünes, Blätter, schmale Formen, ganz leicht,
war's besser in den Wind zu reden, gegen Bäume und Blätter,

leere Gänge in den Museen, wo die Bilder hängen,
Filzläuse im Schamhaar, Spotlight auf den Kommentator,

ein Renaissanceengel taucht in einer Allee auf, düster,
in Brokat, und fickt sich selbst, Güterzüge rollen vorüber,
über die Brücke, wo die Plakate hängen, treibendes Dunkel

in Fetzen, Musikstücke. Ich redete mit meiner Mutter,
ich sagte: Mutter, komm raus aus dem Dunkel, der Ofen ist

kaputt, wo bist du? Der Krebs hat ihre Brust weggefressen.
Sie redete nicht mehr. Die Küsse am lauwarmen Spülwasser
abends, das Waschlappenwerfen, bist du noch immer dabei, mir

unterm Küchenlicht die Läuse vom Kopf zu suchen?  Der graue
Raum, durch den der Engel ging, füllte sich mit Tageslicht.

Ich fiel hin, Straßenbahnen fuhren vorbei, glotzende

Gesichter. Ich zählte das Geld, es reichte ins Kino
zu gehen, zu träumen, wo ein Waschkessel gezeigt wurde,
Kabel, bist du das, Engel? Der Kiff fliegt "über die Hügel,

Gesträuch glühte, eine Kiesgrube, verlassen in dem weißen
Mittagslicht, wo niemand war, selbst der Ort, am Abhang, schien
verlassen. Hier war der Süden. Gelber Lehm fiel von den

Rändern der Schuhe. Ich ging, unter den Markisenschatten,
Kaugummi kauend, Hände zeigten weiter, runzelige Gestalten,

zwischen den Gebäuden. Die Balkone zerfielen, in der Luft
schwebend, Gras wuchs, wucherte, Sperma tropfte zwischen den

Fingern hinter den Bussen an der Mauer auf den Boden. Stimmen

gingen über den Asphalt, Stimmen in Telefonboxen, Züge, dampfend
vom Meer her kommend, am Mittag, lautlos. Ich schaute über
die Stadt, Schuttgelände, wilder Schotter, Glas, mit Körpern

darin, bewegt, und wo gehst du, alter runzeliger Engel? Gehst du
noch einmal durch die leeren grauen Räume des Gehirns, elektrisch

aufgeladen? He, Vater, in der blauen Jacke, verkleidet
als Spaziergänger, nach dem Krieg, du schaust ängstlich
zwischen den Baumstämmen, der Krieg ist aus, hast du das

vergessen? Jetzt seid ihr tot, verreckt an eurem Land. Schlaf,
Magritte. Die Bilder, bewacht, ruhen in den dunklen Sälen.

Die Allee, sehr tief hängend, mit einem Taxi entlang zu jagen,

hat sich verändert, Gespenster von gestern, laßt mich in Ruhe,
was seid ihr außerhalb der Wörter?  Die Armut der Empfindungen

habt ihr gelebt, so gut ihr konntet. Ich erinnere mich daran,
zärtlich, jetzt, da das Fenster geöffnet ist, jetzt beim Geräusch

des Güterzuges über die Brücke, jetzt, vor dem Regen, abends, mit dem
sehr hellen Geräusch einer Fahrradklingel darin, Windstürze ins
Gras und in der Dämmerung die ersten Neonlichter, wie still

die Allee ist, Engel, räumst du den Schamott weg?  Über dem
Badeofen hängen meine Socken zum Trocknen, im Dunkel schmale

Formen, bewegtes Grün, leichte Wörter, als ich ging. Kinder winken
Auf Wiedersehen, wo ist das?  Ein Hotelzimmer, wo ich schlafe,
bis morgen.

- (westw)

 

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