childkrott   Es wird Winter; der Garten ist aufgeräumt. Dahlienknollen und Schildkröten sind im Keller »beigesetzt«. Den Knollen lasse ich noch etwas Erde; den Schlummer der Schildkröten leitet eine Art von Totenwäsche ein. Das Stierlein legt sie in ein lauwarmes Bad, in dem sie sich entleeren; dann werden sie abgetrocknet und in einer mit Laub und Erde gefüllten Kiste verwahrt. Dort können sie ruhen, bis der Frühling kommt. Sie werden unruhig, wenn der Löwenzahn Rosetten zu treiben beginnt. Ich warte dann eine Sonnenstunde ab und trage sie ans Licht.

Gigas, Theodor, Theodolinde und Krüppelchen — drei Griechen und ein Mauretanier. Seit vielen Jahren leiste ich ihnen diesen Dienst. Einmal vermißte ich Theodolinde;  ich fand sie im Frühjahr wieder, als ich ein Beet umgrub. Sie lebte; es muß ein milder Winter gewesen sein. Zuweilen verirrt sich eine in die Nachbargärten; die Kinder bringen sie mir dann — »Herr Jinger, Ihr Schildkrott« — wieder zurück.

Trotz ihrer sprichwörtlichen Gemächlichkeit besitzen sie Reserven für flinkere Gänge; das zeigt sich bei Lebensgefahr und im Liebesspiel. In einem Herbst hatte sich die Kleine unter einem Reisighaufen eingerichtet; sie schoß aus der Flamme hervor, als ich ihn entzündete. Ihr Schild war schon angeschmolzen, doch sie überlebte und heißt seitdem Krüppelchen.

Auch zur Begattung sind sie in Flucht und Verfolgung hurtig; das Männchen treibt das Weibchen vor sich her und stellt es an einer Mauer fest. Es setzt ihm mit hämmernden Stößen zu, öffnet den Rachen und streckt die blutrote Zunge vor. Brehm schreibt, daß nur wenige Arten über Töne verfügen — diese jedenfalls stoßen ein fauchendes Stöhnen aus. Wie beim Ausbruch eines Vulkans verändert sich der Garten auf dämonische Art. - Ernst Jünger, 26. Oktober 1982.  Siebzig verweht III, Stuttgart 1993 

 

Schildkröte

 


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