cheiße   In frühesten Kindheitsjahren ist von einem Schämen wegen der exkrementellen Funktionen, von einem Ekel vor den Exkrementen noch keine Spur. Das kleine Kind bringt diesen wie anderen Sekretionen seines Körpers ein großes Interesse entgegen, beschäftigt sich gerne mit ihnen und weiß aus diesen Beschäftigungen mannigfaltige Lust zu ziehen. Als Teile seines Körpers und als Leistungen seines Organismus haben die Exkremente Anteil an der — von uns narzißtisch genannten — Hochschätzung, mit der das Kind alles zu seiner Person gehörige bedenkt. Das Kind ist etwa stolz auf seine Ausscheidungen, verwendet sie im Dienste seiner Selbstbehauptung gegen die Erwachsenen, Unter dem Einfluß der Erziehung verfallen die koprophilen Triebe und Neigungen des Kindes allmählich der Verdrängung; das Kind lernt sie geheimhalten, sich ihrer schämen und vor den Objekten derselben Ekel empfinden.

Ausschnitt aus Pieter Bruegel d. Ä. »Die Niederländischen Sprichwörter«;
darstellend die Sprüche »Sie scheißen beide durch dasselbe Loch«
(= unzertrennliche Kumpane) und
»Es hängt wie ein Scheißhaus über dem Graben«. (= die Angelegenheit ist eindeutig).
(
bou

Der Ekel geht aber, streng genommen, nie so weit, daß er die eigenen Ausscheidungen träfe, er begnügt sich mit der Verwerfung dieser Produkte,wenn sie von anderen stammen. Das Interesse, das bisher den Exkrementen galt, wird auf andere Objekte übergeleitet, z.B. vom Kot aufs Geld, welches dem Kinde ja erst spät bedeutungsvoll wird. - S. Freud, Geleitwort zu (bou)

Scheiße (2)   Ich setzte mich auf so etwas wie einen unsichtbaren Thron und spürte, wie meine Därme sich regten, und begann, mich zu entleeren. Nachdem die schmutzige Masse schwanzartig aus der dazu vorgesehenen Öffnung herausgetreten war - und es war Lava, Magma, Lehm, Fäulnis, Mist, Fleischmasse, verwester Dreck -, folgte als nächstes ein grauer Kot, und ich verstand, daß ich dabei war, mich von den Gespenstern zu befreien; als der rohe Schlamm dann einen rosa Schimmer annahm, verstand ich, daß ich mich nun auch von dem Schmutz befreite, der in meinem Blut verharrte; dann wurde er schwarz und trüb, und ich dachte, dies müsse meine Seele sein, die ich nun am Ende abstreifte und ausstieß; und ich war sicher, daß diese schwärzliche Kakke beim Umrühren voller Gesichter sein würde, voller Hände, Augen, Anbetungen, Träume und Alpträume und der vergeblichen Ideogramme einer hoffnungslosen Geduld. Oh, sich selbst ausscheißen können! Jenen Teil seines Selbst, der Enge ist und Angst und Bangen, in Scheiße sterben zu sehen! Den seelischen Gedärmen die Ölschlammkutte abstreifen - denn dies war die Farbe der Erinnerungen, Wünsche, Begierden, Hoffnungen, Erwartungen - die Farbe des Grolls und des Abschieds.

Nun kommt ein kleines weißes Würstchen zum Vorschein, das muß ein wenig von meinem Geiste sein, mit einigen Köstlichkeiten des kleinen Seelchens vermischt, »vom sein müssen zum tun müssen«; und als die blütenreine Kakke aus mir heraus ist, fühle ich mich leer und dröhnend, und die Puppe beginnt zu sprechen:

»He, Scharlatan! Hier ist nichts mehr übrig. Diese Behausung ist ganz und gar als Scheiße abgegangen, der Kerl ist jetzt hohl und leer wie eine in der Pestzeit verlassene Kathedrale. Alles habe ich gegessen; alles habe ich verdaut; der ganze Kerl ist in Dung aufgegangen. Und jetzt, mein Scharlatan, spaziere ich in diesem hohlen Körper herum und finde nichts mehr zu essen; denn hier sind nur noch Wände und die sind aus harten Knochen und Mark, da gibt es nichts zum Zerreißen, nichts, das man in scheißbaren Dreck verwandeln könnte. Oh, mein Scharlatan«, fleht sie jetzt und ich lausche, immer noch hockend, »hol mich bitte heraus, denn jetzt bin ich an der Reihe!«

Ich weiß nicht, womit sie an der Reihe sein könnte, aber der Scharlatan kommt schon herbeigerannt.

»Meine Liebste, hier kommt dein Väterchen, um dich aus deiner Not zu befreien. In Scheiße hast du ihn verwandelt, der ganze Kerl ist jetzt Scheiße geworden, er ist hohl wie ein von nächtlichen Spitzbuben ausgeraubtes Grab. Oh mein süßer Geier, der du in den Ludern herumaast - friß doch jetzt die Kakke!«

Und der Scharlatan sticht mir seine Schere in die Brust. Er schneidet mich auf - ich spüre keinerlei Schmerz - und holt die Puppe heraus. Dann macht er mich rasch wieder zu.

»Nimm's ihr nicht übel«, sagt der Scharlatan, »sie hat ein hartes Schicksal, und es ist nicht gesagt, daß ihr zwei nicht auch in Zukunft miteinander reden müßt.«

Ich betrachte die Puppe verstohlen. Sie wirkt benommen, wie eben geboren, und ich bemühe mich, eine Verbeugung zu machen, was mir in meiner Lage nicht leichtfällt, und deute einen Handkuß an - eine galante Geste, die ihr vielleicht nicht mißfällt. Doch in Wirklichkeit genieße ich es, so hohl und leer zu sein und vorläufig keine Puppe mehr zu beherbergen. - (hoelle)

Scheiße (3) Nur die eigenen Gedanken haben Wahrheit und Leben; denn nur die eigenen Gedanken versteht man ganz. Fremde, gelesene Gedanken sind geschissene Scheiße. - Schopenhauer

Scheiße (4)   Die Anstrengungen der jungen Frau hatten zuerst nur denn Erfolg, daß das Löchelchen sich dehnte und die inwendige Haut sehen ließ, die blaßrosa war wie eine aufgeworfene Lippe.

»Kack doch endlich!« schrie Mony. Bald ließ sich ein kleines Ende Scheiße blicken, spitz und unscheinbar, zeigte den Kopf und kroch sogleich wieder in seine Höhle zurück. Es erschien von neuem, langsam und majestätisch, gefolgt von dem Rest der Wurst, die einen der schönsten Haufen bildete, den ein Darm je hervorgebracht hat.

Die Scheiße kam salbig, ununterbrochen und gelassen, gedreht wie ein Schiffstau. Sie baumelte graziös zwischen den hübschen Bäckchen, die sich mehr und mehr spreizten. Bald schaukelte sie stärker. Das Loch weitete sich noch mehr, zuckte ein wenig, und die Wurst fiel, ganz warm und rauchend, in Monys Hände, der sich vorgebeugt hatte, um sie aufzufangen.   - Guillaume Apollinaire, Die elftausend Ruten. München 1985 (zuerst 1907)

Scheiße (5)

Immerzu höre ich von ihr reden
als wär sie an allem schuld.
Seht nur, wie sanft und bescheiden
sie unter uns Platz nimmt!
Warum besudeln wir denn
ihren guten Namen
und leihen ihn
dem Präsidenten der USA,
den Bullen, dem Krieg
und dem Kapitalismus?

Wie vergänglich sie ist,
und das was wir nach ihr nennen
wie dauerhaft!
Sie, die Nachgiebige,
führen wir auf der Zunge
und meinen die Ausbeuter.
Sie, die wir ausgedrückt haben,
soll nun auch noch ausdrücken
unsere Wut?

Hat sie uns nicht erleichtert?
Von weicher Beschaffenheit
und eigentümlich gewaltlos
ist sie von allen Werken des Menschen
vermutlich das friedlichste.
Was hat sie uns nur getan?

- Hans Magnus Enzensberger, Gedichte 1955 - 1970. Frankfurt am Main 1971

Scheiße (6)

- N. N.

Notdurft
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Kot Kacke