die scheintoten
die scheintoten warten vor den kartellämtern, sie warten,
ohnmächtig, aus beiden lungen rauchend, vor den eichämtern und
vor den arbeitsämtern. ihr bleicher, farbloser jubel weht wie
eine riesige zeitung im wind gegen die vielen vergitterten schalter.
wie sie mit ihren genicken nicken! wie sind sie tüchtig und
aufgeräumt! wie flink gehn ihnen von der hand lochkarten, beichtzettel
und schecks! in den aktentaschen tragen sie ihr abrasiertes haar, und
in seinen zwei strümpfen hat jeder von ihnen zehn zehen gespart.
und dabei essen sie noch und schneiden mit ihren zehn scheintotenfingern
fleisch vom gebein toter tiere, und nachts, um zu stillen,
was zwischen ihren beinen trauert und schreit, vermehren sie
sich, wenn die Schalter geschlossen sind, und zeugen scheintote
zeugen,
und melden sie morgens, rauchend aus den ohnmächtigen mündern,
an bei den meldeämtern, damit man sie nicht begräbt.
wer aber gibt ihnen küsse und äpfel? wer weckt sie denn, wer
gibt ihnen allerdings immortellen, wer schaufelt von ihrer brust' diese
gebirge von qualm, wer wickelt sie aus den zeitungen, salzt ihre
essenden münder mit mut, wer kämmt die asche aus ihrem haar, wer
wäscht die furcht aus ihren beiden farblosen augen, wer schenkt,
löst, zaubert, salbt und weckt die scheintoten von den toten
auf, und wer spricht sie frei?
vor den bankschaltern warten, beschneit von Zeitungen und
von wahlscheinen, warten unter dem himmel, der sich, wie ein
vorstadtkino, zuweilen erhellt und zuweilen verdunkelt, wie
zwischen hauptfilm und wochenschau, zwischen walstatt und schauhaus, vor
den sterbeämtern warten, warten die scheintoten auf ihre totenscheine, rauchen
aus tüchtigen farblosen jungen, waten im trüben eigenen jubel, und
warten, verschieden, auf ihr verscheiden.
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