cheintod  Wer einmal scheintot gewesen ist, kann davon Schreckliches erzählen, aber wie es nach dem Tode ist, das kann er nicht sagen, er ist eigentlich nicht einmal dem Tode näher gewesen als ein anderer, er hat im Grunde nur etwas Besonderes ›erlebt‹ und das nicht besondere, das gewöhnliche Leben ist ihm dadurch wertvoller geworden. Ähnlich ist es mit jedem, der etwas Besonderes erlebt hat. Moses zum Beispiel hat auf dem Berge Sinai gewiß etwas ›Besonderes‹ erlebt, aber statt sich diesem Besonderen zu ergeben, etwa wie ein Scheintoter, der sich nicht meldet und im Sarg liegen bleibt, ist er den Berg hinunter geflüchtet und hatte natürlich Wertvolles zu erzählen und liebte die Menschen, zu denen er sich geflüchtet hatte, noch viel mehr als früher und hat dann sein Leben ihnen geopfert, man kann vielleicht sagen, zum Danke. Von beiden aber, vom zurückgekehrten Scheintoten und vom zurückgekehrten Moses kann man viel lernen, aber das Entscheidende kann man von ihnen nicht erfahren, denn sie selber haben es nicht erfahren. Und hätten sie es erfahren, so wären sie nicht mehr zurückgekommen. Aber wir wollen es auch gar nicht erfahren. Das läßt sich daran überprüfen, daß wir zum Beispiel gelegentlich den Wunsch haben können, das Erlebnis des Scheintoten oder das Erlebnis des Moses bei Sicherstellung der Rückkehr, ›bei freiem Geleit‹ zu erleben, ja daß wir sogar den Tod uns wünschen, aber nicht einmal in Gedanken wollten wir lebend und im Sarge ohne jede Möglichkeit der Wiederkehr oder auf dem Berge Sinai bleiben ... - (hochz)

Scheintod (2)   In Frankreich biss man die mutmaßlich Verstorbenen in die Zehe. Der "croc mort" dürfte auch den beharrlichsten Tiefschlaf beendet haben. In Wien ersann man raffiniertere Methoden, um dem Scheintod auf die Schliche zu kommen: Auf dem Währinger Friedhof, damals der größte Europas, wurde ein Rettungswecker angeboten. Eine Klingel, deren Seilzug an den Fingern der Toten befestigt wurde, sollte den Totengräber auf den Plan rufen. Wissenschaftlich erwiesen wurde zwar niemand auf diese Weise gerettet, aber der Währinger Friedhof war damals als letzte Ruhestätte enorm begehrt. Die Panik, im Scheintod lebendig begraben zu werden, war noch im 19. Jahrhundert bei vielen Menschen größer als die Angst vor dem Tod. Manche bestanden daher auf dem vom Arzt zu vollziehenden Herzstich. Prominente, wie der Dramaturg Johann Nepomuk Nestroy und der Schriftsteller Arthur Schnitzler, der als gelernter Arzt wusste, wie schlampig oft diagnostiziert wurde, wollten so letzte Zweifel ausräumen. - Ralf Leonhard (taz vom 25.11.2006)

Scheintod (3)  Die große Aufregung, die ich zunächst um meinen Leichnam herum wahrgenommen hatte, wandelte sich bald zu trister Ruhe: eine Tür öffnete und schloß sich in fast regelmäßigen Abständen; leise Schritte näherten sich dem, was ich für meine Totenbahre halten mußte; sodann vernahm ich ein knappes Seufzen oder Schluchzen, eine gemurmelte Anteilnahme, die bisweilen sogar von Weinen unterbrochen wurde; dann entfernten sich die Schritte, und die Tür entließ den frommen Besucher wieder in seine Freiheit.

Dieses Hin und Her dauerte eine ganze Weile, aber schließlich hörte es auf, und über mein Totenzimmer senkte sich ein tiefes Schweigen; ich hörte nur noch ab und an so etwas wie das Atmen oder Hauchen einer Kerzenflamme, die von einem Luftzug niedergedrückt wurde, oder wie das Knistern eines Dochts . . . Oh, neues Entsetzen! Denn, und das hing vielleicht mit meiner verrückten Hoffnung zusammen, mich als lebendig zeigen zu können, jetzt fürchtete ich über alles die Einsamkeit. Doch da wurde plötzlich mein Geruchssinn, als ich am wenigsten daran dachte, ihn um Hilfe anzugehen, von einem scharfen und aggressiven Etwas überfallen, dessen Natur kaum eine Täuschung zuließ: es war Essig; jemand hantierte damit unmittelbar neben mir. Was bedeutete dies? Angesichts des Umstandes, daß meine Haut völlig gefühllos war, konnte eine Erklärung nur induktiv sein, wenngleich sie leichtfiel. In der Tat erinnerte ich mich, daß es in unserer Gegend Sitte ist, das Gesicht der Toten mit einem essiggetränkten Tuch zu bedecken, damit das geliebte Antlitz während der Trauernacht sich frisch und fest erhalte; und wirklich bestätigte eine leichte Minderung meines Hörvermögens (als bedeckte das Tuch auch meine Ohren) diese meine Auslegung. Aber der aufdringliche Geruch hatte nun meinen ohnehin schwachen Geruchssinn sozusagen ganz und gar überdeckt. Jetzt konnte ich mich nur noch auf meinen recht beeinträchtigten Gehörsinn verlassen: und die Welt kam mir nicht etwa näher, sondern sie entfernte sich von mir; ich war allein noch durch einen ganz dünnen Faden mit ihr verbunden, und der konnte von einem Augenblick zum anderen reißen. - Tommaso Landolfi, Die Labrenas, nach (land)

Scheintod (4)  Um festzustellen, ob ein Mensch nur ohne Bewusstsein ist oder tatsächlich der Tod eingetreten ist, standen den Ärzten früher nur einfache Hilfsmittel zur Verfügung, die Johann Georg Krünitz in der Oeconomischen Encyclopädie des 18. Jahrhunderts beschreibt. „Scheintoten“ wurde ein Spiegel vor den Mund gehalten, um zu sehen, ob er durch den Atem beschlägt. Weitere Hilfsmittel waren Kerzen und Federn, die vor die Nase gehalten wurden oder ein Glas mit Wasser, das auf die Brust gestellt wurde, um an Wasserbewegungen zu sehen, ob sie sich leicht hebt und senkt. „Was die äußerlichen Reizmittel und die chirurgischen Versuche anbetrifft, die Nasenlöcher durch rauhe Federn, Salze, Salmiak, oder die flache Hand und Fußsohlen mit Stichen zu reizen, und Schultern, Arme oder andere Theile zu schröpfen, so haben diese Hülfsmittel bisweilen scheinbare Todte, so wie glühendes Eisen an der Fußsohle, wieder ins Leben gebracht.“ In jedem Zweifelsfall wurden Wiederbelebungsmaßnahmen angewandt: „Man spritzt Pfeffer- und Salzauflösung in den Mund. Man bläset, Mund auf Mund gelegt, bei zugedrückter Nase, langsam in die Lunge des anscheinenden Todten Luft herein. Man gibt ihm Klystiere von Kochsalz ungefähr 2 bis 3 Loth desselben in warmen Wasser aufgelöset, oder Tabacksauflösung. Hierher gehören auch die Tabacksrauchklystiere, wenn ein Instrument vorhanden ist.“ - wapedia

Scheintod (5)  

Das scheintote Kind

Nocturno

Stürmisch finst're Nacht
Kind im Grab erwacht,
Seine schwache Kraft
Jäh zusammenrafft.

Machet auf geschwind,
Ruft das arme Kind,
Sieht sich ängstlich um:
Finster ist's und stumm.

Ueberall ist's zu
»Mutter, wo bist Du?«
Stoßet aus den Schrei,
Horchet still dabei;

Und in seiner Qual
Klopft es noch einmal,
Sieht sich grausend um:
Finster ist's und stumm.

Streckt die Ärmlein aus,
Hämmert schnell drauf los,
Ruft entsetzt und laut:
»Hört, ich bin nicht tot!«

Lehnt sein Haupt am Arm:
Daß sich Gott erbarm',
Lebt man ewig so?
Und wo stirbt man, wo?

Ach, man hört mich nicht,
Gott, ach nur ein Licht!
Sieht sich nochmals um!
Finster bleibt's und stumm.

Stier und starr es tappt,
Und am Sarg es klappt,
Horch, da strömt sein Blut
Durch des Nagels Hut;

Aus dem warmen Quell
Sprudelt's rasend schnell:
Endlich stirbt das Kind,
Froh die Engel sind!

Stürmisch ist die Nacht,
Blätter rauschen sacht,
Niemand sah sich um:
Finster blieb's und stumm!

- Friederike Kempner

Scheintod (6)  Die Wissenschaftler hatten sich einige französische Raketen vom Typ »Veronique« besorgt und deren Köpfe zu bakteriologischen Minilaboratorien umgebaut. Mit ihnen schossen sie Bakterien, Pilze und Pflanzensporen der verschiedensten Arten bis in Höhen von mehr als 350 Kilometern. Dort, weit außerhalb der letzten Reste der Erdatmosphäre, wurden die Mikroben im freien Weltraum ungeschützt der Kälte, dem Vakuum, der kosmischen Strahlung und dem ungefilterten Sonnenlicht ausgesetzt. Sinn der mehrfach wiederholten Versuche war es, herauszufinden, ob die mikroskopischen Organismen auch diese außerirdischen Belastungen noch vertrugen. Die Mikroben erwiesen sich bei diesen Experimenten als härter im Nehmen, als mancher geglaubt hatte. Die eisige Kälte des Weltraums von minus 150 Grad Celsius und darunter machte den meisten von ihnen überhaupt nichts aus. Das war keine Überraschung. Laboratoriumsversuche auf der Erde hatten schon lange vorher ergeben, daß manche Mikroorganismen sogar eine Abkühlung bis in die Nähe des absoluten Null-Punkts (minus 273 Grad Celsius) unbeschadet überstehen können. Sie verfallen dann in einen scheintotartigen Zustand. Ihr Stoffwechsel scheint erloschen. Bringt man sie nach Tagen, Wochen oder Monaten jedoch in günstige Umweltbedingungen zurück, so wachsen sie und vermehren sich aufs neue.

Die Versuchsobjekte der Forscher vertrugen aber auch das Weltraumvakuum ohne Schädigung und zum Teil sogar die ungefilterte UV-Strahlung der Sonne. Die extrem kurzwelligen UV-Strahlen stellten zwar ganz offensichtlich die gefährlichste Bedrohung dar. Einige der zurückgeholten Keime aber hatten es verstanden, sich auch gegen diese Gefahr durch eine Art »Totstellreflex« zu schützen. Um was für einen Stoff Wechseltrick es sich in diesem Falle handelt, ist noch nicht vollständig geklärt. Die Bakterien, die unter der Einwirkung der UV-Strahlung in den »Scheintod« verfallen waren, verharrten in diesem Zustand auch noch nach der Rückkehr auf die Erde. Erst eine ganz bestimmte Behandlung, und zwar wiederum eine kurze Bestrahlung im Wellenlängenbereich von 3800 Angström, erweckte sie wieder zum Leben. Dann aber verhielten sie sich so, als ob nichts geschehen wäre.  - Hoimar von Ditfurth, Im Anfang war der Wasserstoff. München 1985  (zuerst 1972)

Tod
Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe
Verwandte Begriffe
Irrtum
Synonyme