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hochz
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Scheintod (2) In Frankreich biss man die mutmaßlich Verstorbenen in die Zehe. Der
"croc mort" dürfte auch den beharrlichsten Tiefschlaf beendet haben. In
Wien ersann man raffiniertere Methoden, um dem Scheintod auf die
Schliche zu kommen: Auf dem Währinger Friedhof, damals der größte
Europas, wurde ein Rettungswecker angeboten. Eine Klingel, deren
Seilzug an den Fingern der Toten befestigt wurde, sollte den
Totengräber auf den Plan rufen. Wissenschaftlich erwiesen wurde zwar
niemand auf diese Weise gerettet, aber der Währinger Friedhof war
damals als letzte Ruhestätte enorm begehrt. Die Panik, im Scheintod
lebendig begraben zu werden, war noch im 19. Jahrhundert bei vielen
Menschen größer als die Angst vor dem Tod. Manche bestanden daher auf
dem vom Arzt zu vollziehenden Herzstich. Prominente, wie der Dramaturg
Johann Nepomuk Nestroy und der Schriftsteller Arthur Schnitzler, der
als gelernter Arzt wusste, wie schlampig oft diagnostiziert wurde,
wollten so letzte Zweifel ausräumen. - Ralf Leonhard (
taz vom 25.11.2006
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Scheintod (3) Die große Aufregung, die ich zunächst um meinen Leichnam herum wahrgenommen hatte, wandelte sich bald zu trister Ruhe: eine Tür öffnete und schloß sich in fast regelmäßigen Abständen; leise Schritte näherten sich dem, was ich für meine Totenbahre halten mußte; sodann vernahm ich ein knappes Seufzen oder Schluchzen, eine gemurmelte Anteilnahme, die bisweilen sogar von Weinen unterbrochen wurde; dann entfernten sich die Schritte, und die Tür entließ den frommen Besucher wieder in seine Freiheit.
Dieses Hin und Her dauerte eine ganze Weile, aber schließlich hörte es auf,
und über mein Totenzimmer senkte sich ein tiefes Schweigen; ich hörte nur noch
ab und an so etwas wie das Atmen oder Hauchen einer Kerzenflamme, die von einem
Luftzug niedergedrückt wurde, oder wie das Knistern eines Dochts . . . Oh, neues
Entsetzen! Denn, und das hing vielleicht mit meiner verrückten Hoffnung zusammen,
mich als lebendig zeigen zu können, jetzt fürchtete ich über alles die Einsamkeit.
Doch da wurde plötzlich mein Geruchssinn, als ich am wenigsten daran dachte,
ihn um Hilfe anzugehen, von einem scharfen und aggressiven Etwas überfallen,
dessen Natur kaum eine Täuschung zuließ: es war Essig; jemand hantierte damit
unmittelbar neben mir. Was bedeutete dies? Angesichts des Umstandes, daß meine
Haut völlig gefühllos war, konnte eine Erklärung nur induktiv sein, wenngleich
sie leichtfiel. In der Tat erinnerte ich mich, daß es in unserer Gegend Sitte
ist, das Gesicht der Toten mit einem essiggetränkten Tuch zu bedecken, damit
das geliebte Antlitz während der Trauernacht sich frisch und fest erhalte; und
wirklich bestätigte eine leichte Minderung meines Hörvermögens (als bedeckte
das Tuch auch meine Ohren) diese meine Auslegung. Aber der aufdringliche Geruch
hatte nun meinen ohnehin schwachen Geruchssinn sozusagen ganz und gar überdeckt.
Jetzt konnte ich mich nur noch auf meinen recht beeinträchtigten Gehörsinn verlassen:
und die Welt kam mir nicht etwa näher, sondern sie entfernte sich von mir; ich
war allein noch durch einen ganz dünnen Faden mit ihr verbunden, und der konnte
von einem Augenblick zum anderen reißen. - Tommaso Landolfi, Die Labrenas, nach (
land
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Scheintod (4) Um festzustellen, ob ein Mensch nur
ohne Bewusstsein ist oder tatsächlich der Tod eingetreten ist, standen den Ärzten
früher nur einfache Hilfsmittel zur Verfügung, die Johann Georg Krünitz
in der Oeconomischen Encyclopädie des 18. Jahrhunderts beschreibt. „Scheintoten“
wurde ein Spiegel vor den Mund gehalten, um zu sehen, ob er durch den Atem beschlägt.
Weitere Hilfsmittel waren Kerzen und Federn, die vor die Nase gehalten wurden
oder ein Glas mit Wasser, das auf die Brust gestellt wurde, um an Wasserbewegungen
zu sehen, ob sie sich leicht hebt und senkt. „Was die äußerlichen Reizmittel
und die chirurgischen Versuche anbetrifft, die Nasenlöcher durch rauhe Federn,
Salze, Salmiak, oder die flache Hand und Fußsohlen mit Stichen zu reizen, und
Schultern, Arme oder andere Theile zu schröpfen, so haben diese Hülfsmittel
bisweilen scheinbare Todte, so wie glühendes Eisen an der Fußsohle, wieder ins
Leben gebracht.“ In jedem Zweifelsfall wurden Wiederbelebungsmaßnahmen angewandt:
„Man spritzt Pfeffer- und Salzauflösung in den Mund. Man bläset, Mund auf Mund
gelegt, bei zugedrückter Nase, langsam in die Lunge des anscheinenden Todten
Luft herein. Man gibt ihm Klystiere von Kochsalz ungefähr 2 bis 3 Loth desselben
in warmen Wasser aufgelöset, oder Tabacksauflösung. Hierher gehören auch die
Tabacksrauchklystiere, wenn ein Instrument vorhanden ist.“ -
wapedia
Scheintod (5)
Das scheintote Kind Nocturno Stürmisch finst're Nacht Machet auf geschwind, Ueberall ist's zu Und in seiner Qual Streckt die Ärmlein aus, Lehnt sein Haupt am Arm: Ach, man hört mich nicht, Stier und starr es tappt, Aus dem warmen Quell Stürmisch ist die Nacht, |
Scheintod (6) Die Wissenschaftler hatten sich einige französische Raketen vom Typ »Veronique« besorgt und deren Köpfe zu bakteriologischen Minilaboratorien umgebaut. Mit ihnen schossen sie Bakterien, Pilze und Pflanzensporen der verschiedensten Arten bis in Höhen von mehr als 350 Kilometern. Dort, weit außerhalb der letzten Reste der Erdatmosphäre, wurden die Mikroben im freien Weltraum ungeschützt der Kälte, dem Vakuum, der kosmischen Strahlung und dem ungefilterten Sonnenlicht ausgesetzt. Sinn der mehrfach wiederholten Versuche war es, herauszufinden, ob die mikroskopischen Organismen auch diese außerirdischen Belastungen noch vertrugen. Die Mikroben erwiesen sich bei diesen Experimenten als härter im Nehmen, als mancher geglaubt hatte. Die eisige Kälte des Weltraums von minus 150 Grad Celsius und darunter machte den meisten von ihnen überhaupt nichts aus. Das war keine Überraschung. Laboratoriumsversuche auf der Erde hatten schon lange vorher ergeben, daß manche Mikroorganismen sogar eine Abkühlung bis in die Nähe des absoluten Null-Punkts (minus 273 Grad Celsius) unbeschadet überstehen können. Sie verfallen dann in einen scheintotartigen Zustand. Ihr Stoffwechsel scheint erloschen. Bringt man sie nach Tagen, Wochen oder Monaten jedoch in günstige Umweltbedingungen zurück, so wachsen sie und vermehren sich aufs neue.
Die Versuchsobjekte der Forscher vertrugen aber auch das Weltraumvakuum
ohne Schädigung und zum Teil sogar die ungefilterte UV-Strahlung der Sonne.
Die extrem kurzwelligen UV-Strahlen stellten zwar ganz offensichtlich die gefährlichste
Bedrohung dar. Einige der zurückgeholten Keime aber hatten es verstanden, sich
auch gegen diese Gefahr durch eine Art »Totstellreflex«
zu schützen. Um was für einen Stoff Wechseltrick es sich in diesem Falle handelt,
ist noch nicht vollständig geklärt. Die Bakterien, die unter der Einwirkung
der UV-Strahlung in den »Scheintod« verfallen waren, verharrten in diesem Zustand
auch noch nach der Rückkehr auf die Erde. Erst eine ganz bestimmte Behandlung,
und zwar wiederum eine kurze Bestrahlung im Wellenlängenbereich von 3800 Angström,
erweckte sie wieder zum Leben. Dann aber verhielten sie sich so, als ob nichts
geschehen wäre. - Hoimar von Ditfurth, Im Anfang war der Wasserstoff.
München 1985 (zuerst 1972)
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