Der Mund dieser Unglücklichen bedeckte sich mit Schaum und die Zauberin sammelte
ihn sorgfältig ein und verkaufte uns ihn um hundert Louis, indem sie uns versichert,
daß es das heftigste aller Gifte die sie erzeuge, sei. Die Kinder verendeten,
ohne daß sich die Durand drum kümmerte. Das gehört dazu, um das Verbrechen mit
Wollust zu begehen. "Geliebte Freundin," sagte Clairwil und überlegte
alles, was sie gesehen hatte, "da hast du nun schreckliche Geheimnisse."
"Ich kenne noch andere; das Leben der Menschen ist in meiner Hand, ich
bin imstande die Pest und alle anderen Epidemien zu verbreiten, die Luft und
das Wasser zu vergiften, Häuser, Wälder und Gärten zu vernichten, das Fleisch
der Tiere in Gift zu verwandeln und den plötzlichen Tod
dem zu geben, der zu einer Blume riecht oder einen Brief öffnet." -
(just)
Gottfried Benn
an F.W. Oelze, 9. März 1941. In: G.B., Das gezeichnete Ich. Briefe aus
den Jahren 1900-1956. München 1962 (dtv 89)
Schaum (3) Irgend etwas ist im Innern des Musikers Sligo
geblieben, was es aber ist, kann man nicht gut erkennen, sein ganzer Körper
ist wie eingehüllt in eine Art klebrigen rosa Schaum, der sich nicht loslöst,
und gleichzeitig die Gliedmaßen, die ihn halten, nicht sehen läßt, vorausgesetzt,
daß welche vorhanden sind, das kaum wahrnehmbare Köpfchen in seiner Kapuze aus
schaumigem Speichel. Durch diesen Schaum hindurch sieht er uns aber und hört
uns auch, vor allem jedoch hört er die unversiegbare neue Musik, die aus ihm
kommt und die schwer zu beschreiben ist. Jeder wird sie auf seine Weise deuten;
der eine als die blauen Linien der Berge, wenn hinter ihnen die Sonne aufgeht,
der andere als die Schatten der Wolken auf dem See, wieder ein anderer als die
einladenden Gesten einer fünfzehnjährigen Schönheit, schlaff und betäubend,
am Mittag, am Meeresufer.
- (
bdm
)
Schaum (4) Wenn Du unter Lieben
verstehst, von der doppelten Beriihrung den Schaum abschöpfen wollen, der darauf
schwimmt, ohne den Sud aufzurühren, der sich auf der Grund befinden kann, sich
in einer Mischung aus Zärtlichkeit und Lust vereinen, sich mit Freude sehen
und einande ohne Verzweiflung verlassen (da man doch nicht verzweifelt war,
als man seine nächsten Lieben auf dem Totenbett küßte), ohne den anderen leben
können, da man doch auc getrennt von allem lebt, was man begehrt, Waise all
dessen was man geliebt hat, Witwer von allem, was man erträumt aber trotzdem
bei diesen Vergleichen eine Schwäche empfinden, die lächeln läßt wie ein merkwürdiges
Kitzeln, schließlieh spüren, daß es gekommen ist, weil
es kommen mußte, und daß es vorbeigehen muß, weil alles vorbeigeht, sich im
voraus schwören, weder den anderen, noch sich selbst deshalb anzuklagen und
inmitten dieser Freude leben wie man immer lebt, vielleicht nur ein wenig besser,
mit einem Sessel mehr, um sein Herz an Tagen darauf auszuruhen, an denen es
müde ist, ohne daß man deshalb mehr Spaß empfände, jeden Morgen aufzustehen;
wenn Du zugibst, daß man lieben und gleichzeitig beim Vergleichen der Bewunderungen
der Liebe mit den Bewunderungen der Kunst ein maßloses Mitleid und für alles,
was uns dem irdischen Organismus zugehörig macht, eine spöttische und bittere
Verachtung empfinden kann, wenn Du zugibst, daß man lieben kann, auch wenn man
spürt, daß ein Vers von Theokrit einen mehr träumen läßt als die besten Erinnerungen,
wenn es einem gleichzeitig vorkommt, daß alle großen Opfer (ich meine das, woran
man am meisten hängt: das Leben, das Geld), einen nichts kosten würden, während
die kleinen einem schwer würden: JA. - Flaubert an Louise Colet, 30. April 1847,
nach (
flb
)
Schaum (5) Galaxien sind nicht gleichmäßig
über das Universum verteilt. Zwischen ihnen klaffen
Lücken von unvorstellbarer Größe. Bis zu neunzig Prozent
unseres Alls, schätzen Astrophysiker, bestehen aus "Voids"
- aus Hohlräumen. -
Welt
der Wunder
Schaum (6) Er träumte. Er rannte durch einen pechschwarzen Wald, und er hatte Angst, Dann ging der Mond zwischen den Bäumen auf, und die Bäume hatten die Formen von riesigen Frauen mit Brüsten, die wie Kokosnüsse herabhingen. Plötzlich fiel er in eine Grube; es war warm darin, und sie nahm ihn mit einer warmen, feuchten Umarmung auf, und ekstatische Verzückung überkam ihn ...
«Oh, Reverend O'Malley!» rief sie schrill. Licht aus dem Schlafzimmer fiel auf ihren Körper, der nur in ein durchscheinendes Nachthemd gehüllt war, aus dem eine volle braune Brust hervorsah. Sie zitterte heftig, und ihr Gesicht war tränenüberströmt.
Er war nach seinem Traum betroffen, sie so vor sich zu sehen; er sprang auf, legte seinen Arm um ihre zitternden Schultern und fragte sich ratlos, ob er womöglich im Traum über sie hergefallen sei. Er spürte das warme Fleisch, das unter seiner Hand bebte, während sie hysterisch schluchzte: «Oh, Reverend O'Malley, ich hab so was Entsetzliches geträumt...»
«Aber, aber», besänftigte er sie und zog sie an sich. «Träume sind Schäume.»
-
Chester Himes, Schwarzes Geld für weiße Gauner. Reinbek bei Hamburg 1967
Schaum (7)
Schaum (8)
Schaum (9) »Träume sind Schäume«, wiederholte der
Baron mit dumpfer Stimme, »und selbst in diesem Weidspruch der Materialisten,
die das Wunderbarste ganz natürlich, das Natürlichste aber oft abgeschmackt
und unglaublich finden«, erwiderte Ottmar, »liegt eine treffende Allegorie.«-»Was
wirst du in dem alten verbrauchten Sprichwort wieder Sinniges finden?« fragte
gähnend Maria. -Lachend erwiderte Ottmar mit Prosperos Worten: »Zieh deiner
Augen Fransenvorhang auf, und hör' mich freundlich an! - Im Ernst, liebe Maria,
wärst du weniger schläfrig, so würdest du selbst schon geahnet haben, daß, da
von einer über alle Maßen herrlichen Erscheinung im menschlichen Leben, nämlich
vom Traume, die Rede ist, ich mir bei der Zusammenstellung
mit Schaum auch nur den edelsten denken kann, den es gibt. - Und das
ist denn doch offenbar der Schaum des gärenden, zischenden, brausenden Champagners,
den du abzunippen auch nicht verschmähst, unerachtet du sonst recht jüngferlich
und zünfcrlich allen Rebensaft schnöde verachtest. Sieh die tausend kleinen
Bläschen, die perlend im Glase aufsteigen und oben im Schaume sprudeln, das
sind die Geister, die sich ungeduldig von der
irdischen Fessel loslösen; und so lebt und webt im Schaum das höhere geistige
Prinzip, das frei von dem Drange des Materiellen frisch die Fittiche regend
in dem fernen und allen verheißenen himmlischen Reiche sich zu dem verwandten
höheren Geistigen freudig gesellt und alle wundervollen Erscheinungen in ihrer
tiefsten Bedeutung wie das Bekannteste aufnimmt und erkennt, Es mag daher auch
der Traum von dem Schaum, in welchem unsere Lebensgeister,
wenn der Schlaf unser extensives Leben befängt, froh und frei aufsprudeln, erzeugt
werden und ein höheres intensives Leben beginnen, in dem wir alle Erscheinungen
der uns fernen Geisterwelt nicht nur ahnen, sondern wirklich erkennen, ja in
dem wir über Raum und Zeit schweben.« - E.
T. A. Hoffmann, Der Magnetiseur
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