- Ambrose Bierce, Der Witwer Turmore. In: A.B., Mein Lieblingsmord. Frankfurt
am Main 1974 (it 39)
Schatzkammer (2) Ginnistans Freude
war ganz unbeschreiblich, als ihr der König den Schlüssel zur Schatzkammer und
die Erlaubniß gab, ein Schauspiel für Eros darin zu veranstalten, das ihn so
lange unterhalten könnte, bis das Zeichen des Aufbruchs gegeben würde. Die Schatzkammer
war ein großer Garten, dessen Mannichfaltigkeit und Reichthum alle Beschreibung
übertraf. Zwischen den ungeheuren Wetterbäumen lagen unzählige Luftschlösser
von überraschender Bauart, eins immer köstlicher, als das Andere. Große Heerden
von Schäfchen, mit silberweißer, goldner und rosenfarbner Wolle irrten umher,
und die sonderbarsten Thiere belebten den Hayn. Merkwürdige Bilder standen hie
und da, und die festlichen Aufzüge, die seltsamen Wagen, die überall zum Vorschein
kamen, beschäftigten die Aufmerksamkeit unaufhörlich. Die Beete standen voll
der buntesten Blumen. Die Gebäude waren gehäuft voll von Waffen aller Art, voll
der schönsten Teppiche, Tapeten, Vorhänge, Trinkgeschirre und aller Arten von
Geräthen und Werkzeugen, in unübersehlichen Reihen. Auf einer Anhöhe erblickten
sie ein romantisches Land, das mit Städten und Burgen, mit Tempeln und Begräbnissen
übersäet war, und alle Anmuth bewohnter Ebenen mit den furchtbaren Reizen der
Einöde und schroffer Felsengegenden vereinigte. Die schönsten Farben waren in
den glücklichsten Mischungen. Die Bergspitzen glänzten wie Lustfeuer in ihren
Eis- und Schneehüllen. Die Ebene lachte im frischesten Grün. Die Ferne schmückte
sich mit allen Veränderungen von Blau, und aus der Dunkelheit des Meeres wehten
unzählige bunte Wimpel von zahlreichen Flotten. Hier sah man einen Schiffbruch
lrn Hintergrunde, und vorne ein ländliches fröliches Mahl von Landleuten; dort
den schrecklich schönen Ausbruch eines Vulkans, die Verwüstungen des Erdbebens,
und im Vordergrunde ein liebendes Paar unter schattenden Bäumen in den süßesten
Liebkosungen, abwärts eine fürchterliche Schlacht, und unter ihr ein Theater
voll der lächerlichsten Masken. Nach einer anderen Seite im Vordergrunde einen
jugendlichen Leichnam auf der Baare, die ein trostloser
Geliebter festhielt, und die weinenden Eltern daneben; im Hintergrunde eine
liebliche Mutter mit dem Kinde an der Brust und Engel sitzend zu ihren Füßen,
und aus den Zweigen über ihrem Haupte herunterblickend. Die Szenen verwandelten
sich unaufhörlich, und flossen endlich in eine große geheimnißvolle Vorstellung
zusammen. Himmel und Erde waren in vollem Aufruhr. Alle Schrecken waren losgebrochen.
Eine gewattige Stimme rief zu den Waffen. Ein entsetzliches Heer von Todtengerippen,
mit schwarzen Fahnen, kam wie ein Sturm von dunkeln Bergen herunter, und griff
das Leben an, das mit seinen jugendlichen Schaaren in der hellen Ebene in muntern
Festen begriffen war, und sich keines Angriffs versah. Es entstand ein entsetzliches
Getümmel, die Erde zitterte; der Sturm brauste, und die Nacht ward von fürchterlichen
Meteoren erleuchtet. Mit unerhörten Grausamkeiten zerriß das Heer der Gespenster
die zarten Glieder der Lebendigen. Ein Scheiterhaufen thürmte sich empor, und
unter dem grausenvollsten Geheul wurden die Kinder des Lebens von den Flammen
verzehrt. Plötzlich brach aus dem dunklen Aschenhaufen ein milchblaue Strom
nach allen Seiten aus. Die Gespenster wollten die Flucht ergreifen, aber die
Flut wuchs zusehends, und verschlang die scheusliche Brut. - Novalis,
Heinrich von Ofterdingen (Klingsohrs Märchen)
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