Schattenspiele   Vorbei an der allegorischen Statue der Tragödie biegen zwei Männer um die Ecke. Ihre Füße zertreten die Pfauen und Einhörner, deren unendliches Muster sich über die ganze Länge des Teppichs fortsetzt. Das Gesicht des einen ist unter den Massen weißen Gewebes kaum zu erkennen, die auch sein Profil leicht verändert erscheinen lassen. Der andere ist dick. Sie betreten die Loge neben jener, in der der Mann mit den blauen Brillengläsern ist. Das Licht von draußen - ein spätes Sommerlicht jetzt -, das durch das einzige Fenster fällt, beleuchtet die Statue und den gemusterten Teppich in einem monochromen Orange. Die Schatten werden dunkler. Die Luft scheint sich mit undefinierbarer Farbe vollzusaugen; wahrscheinlich ist es auch hier ein Orange. Dann kommt aus dem Foyer ein Mädchen in einem geblümten Kleid und geht in die Loge, die von den beiden Männern besetzt ist. Minuten später taucht sie wieder auf, Tränen in den Augen und über dem Gesicht. Der Dicke folgt ihr. Sie verschwinden aus dem Blickfeld.

Es ist vollkommen still. Nichts ließ erahnen, daß plötzlich der Mann mit dem  rotweiß-gesprenkelten Gesicht mit gezogener Pistole durch den Vorhang kommt. Die Pistole qualmt. Bald stürzen er und der Mann mit den blauen Brillengläsern miteinander ringend kopfüber durch den Vorhang und auf den Teppich. Ihre unteren Körperhälften sind noch hinter dem Vorhang verborgen. Der Mann mit dem gesprenkelten Gesicht reißt dem anderen die Brille ab, zerbricht sie und wirft sie auf den Boden. Der andere schließt fest seine Augen, versucht, sein Gesicht vom Licht abzuwenden.

Unterdessen stand ein anderer am Ende des Korridors. Man sieht nur seine Silhouette, da hinter ihm das Fenster ist. Der Mann, der dem anderen die Brille abgenommen hatte, bückt sich und versucht, das Gesicht des am Boden Liegenden zum Licht zu zwingen. Der Mann am Ende des Korridors macht mit der rechten Hand eine kleine Bewegung. Der sich bückende Mann sieht in seine Richtung und richtet sich halb auf. An der rechten Hand des anderen blitzt eine Flamme auf; und noch eine Flamme, noch eine. Die Flammen sind auch orange, doch heller als das Sonnenlicht.

Das Sehvermögen ist wohl das letzte, was erstirbt. Es muß auch eine fast unerkennbare Linie geben zwischen dem Auge, das reflektiert, und dem, das empfängt.

Der halb gekrümmte Körper bricht zusammen. Das Gesicht mit seinen weißen Gewebemassen sinkt in sich zusammen.    - (v)

 

Schatten Spiel

 

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