Lykurg und Solon, die sehr wohl durchschaut hatten, daß die Auswirkungen der Schamlosigkeit den Bürger in dem den Gesetzen des republikanischen Staates unerläßlichen Zustand der Unmoral hielten, zwangen die jungen Mädchen, sich nackt auf dem Theater zu zeigen.
Rom ahmte dieses Beispiel bald nach: Zu den floralischen Festen tanzte man
nackt; die meisten heidnischen Mysterien wurden so gefeiert; bei einigen Völkern
galt die Nacktheit sogar als Tugend. Wie dem auch sei, die Schamhaftigkeit gebiert
die Neigung zur Geilheit; und die angeblichen Verbrechen,
die wir untersuchen, deren erste Auswirkung die Prostitution ist, gehen aus
dieser Neigung hervor. Jetzt, da wir eine Unmenge religiöser Irrtümer erkannt
haben, die uns in ihren Banden hielten, da wir so viele Vorurteile überwunden
haben, die uns der Natur entfremdeten, hören wir nur noch auf die Stimme der
Natur und wissen, daß, wenn es überhaupt so etwas wie Verbrechen gibt, diese
vielmehr darin bestehen, die Neigungen, welche die Natur uns eingibt, zu bekämpfen,
und daß, da die Geilheit eine Folge dieser Neigungen ist, es sich weniger darum
handeln kann, diese Leidenschaft in uns zu ersticken, als vielmehr die Möglichkeit
zu schaffen, ihr in Frieden zu frönen. Wir sollten also unsere Anstrengung darauf
richten, in diesem Bereich Ordnung zu schaffen und
für die nötige Sicherheit zu sorgen, damit der Bürger, den der Trieb zu Objekten
der Lüsternheit treibt, sich mit diesen Objekten allen Ausschweifungen hingeben
kann, die seine Leidenschaften ihm vorschreiben, ohne durch irgend etwas gehindert
zu werden; denn es gibt keine menschliche Leidenschaft, die stärker des ganzen
Ausmaßes der Freiheit bedürfte als diese. In den Städten sollten verschiedene
Plätze eingerichtet werden, die gesund, weitläufig, angemessen möbliert und
in jeder Hinsicht sicher sind; dort würden alle Geschlechter, alle Altersstufen,
alle Geschöpfe den Launen der Libertins dargeboten, die kämen, um sich zu erlustigen;
und völlige Unterordnung wäre die wichtigste Vorschrift für alle angebotenen
Individuen; die kleinste Weigerung würde von dem, der sie erfahren hat, sofort
nach eigenem Ermessen bestraft. - Marquis de Sade, Die Philosophie
im Boudoir. Gifkendorf 1989 (zuerst ca. 1790)
Schamhaftigkeit (2) Kaiser
Maximilian, Urahne des jetzt regierenden Königs Philipp, war ein mit großen
Gaben überreich begnadeter Fürst, und unter andern auch von ganz besonderer
leiblicher Schönheit. Unter seinen Eigenheiten aber hatte er auch diese, die
von der Fürstenart, bei der Abwicklung ihrer wichtigsten Staatsgeschäfte ihren
Topfstuhl zum Thron zu machen, sehr abstach: nämlich, daß er niemals einen so
vertrauten Kammerdiener hielt, daß er ihm erlaubt hätte, bei seiner Notdurft
zugegen zu sein. Er stahl sich hinweg, .um sein Wasser
abzuschlagen, so schämig wie eine Jungfrau, weder vor einem Arzte noch wem
immer sonst die Teile zu entblößen, die man verborgen zu halten gewohnt ist.
Ich, der ich ein so loses Maul habe, bin dennoch aus Anlage mit dieser Verschämtheit
behaftet. Wenn mich nicht die größte Not oder Wollust dazu treibt, gebe ich
schwerlich fremden Augen die Glieder oder Handlungen
preis, die unsere Sitte zu bedecken heischt. Ich tue mir dabei mehr Zwang an,
als mir für einen Mann zu geziemen scheint, besonders für einen Mann von meiner
Lebensweise. Maximilian aber ging in seinem Aberglauben so weit, daß er in seinem
Testament ausdrücklich verordnete, man sollte ihm Unterhosen anziehen, wenn
er gestorben sei. Er hätte noch ein Kodizill beifügen sollen, daß demjenigen,
der sie ihm anzöge, die Augen verbunden werden müßten. - (
mon
)
Schamhaftigkeit (3) Aus Schamhaftigkeit begatten
sich Elefanten stets an einem verborgenen Orte, das männliche Tier zuerst
im 5., das weibliche im 10. Jahre. Die Begattung erfolgt alle 2 Jahre und dauert,
wie man sagt, nie länger als 5 Tage; am 6. Tage reinigen
sie sich erst in einem Flusse, bevor sie zur Herde zurückkehren. - (
pli
)
Schamhaftigkeit (4) Die
Männer sind schwerer an Gewicht und bei allen Tieren
die toten Körper schwerer als die lebenden, die schlafenden schwerer als
die wachenden. Männliche Leichname schwimmen auf
dem Rücken, weibliche auf dem Bauche, gleichsam als wollte die Natur ihre
Schamhaftigkeit noch
nach dem Tode achten. - (pli)
Schamhaftigkeit (5) Kuadé, der Sonnengott, war auch ein
Mensch. Er wohnte weit weg und redete in einer anderen Sprache. Die Juruna pflegten
in seinem Haus umherzugehen. Nahe seiner Wohnung hatte der Sonnengott ein Loch
im Felsen, das war immer voll Wasser. Es war eine Falle, um Tiere zu fangen.
Wenn ein Tier seinen Kopf in das Loch steckte; um Wasser zu trinken, war es
gefangen. Jeden Tag ging der Sonnengott nachsehen, ob es Beute gäbe. Wenn er
etwas fand, tötete er es und trug es nach Hause, um es zu essen. Er fischte
nur des Nachts und erhellte das Wasser mit einem Licht, das er auf seinem Gesäß
hatte. Sagte jemand, er habe sein Licht gesehen, so beschimpfte und tötete er
ihn. -
Südamerikanische Indianermärchen. Hg. Felix Karlinger und Elisabeth Zacherl.
München 1992 (Diederichs, Märchen der Weltliteratur)
Schamhaftigkeit (6)
Schamhaftigkeit (7) Unanständig ist mein Gesäß
beileibe nicht: So gut es geht, versucht es, den schmutzigen Anus
zu verbergen. Früher einmal hat es versucht, ihn im Schlaf zu ermorden und ihn
zwischen zwei Kissen zu ersticken; mittlerweile hat es sich damit abgefunden,
ihn in einer Spalte zu verstecken. - Tiziano Scarpa, Körper. Berlin 2005
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