chamanenreise
Diese höllische Proserpina wohnt unter dem Meer in einem
grossen Hause, darinnen sie durch ihre Kraft alle See-Thiere gefangen halten
kan. In der Thran-Bütte, die unter ihrer Lampe steht, schwimmen die See-Vögel
herum. Die Hausthüre wird von aufrechtstehenden Seehunden,
die sehr beißig sind, bewacht. Oft steht auch nur ein grosser Hund
davor, der nie länger als einen Augenblick schläft,
und also sehr selten überrascht werden kan. Wenn einmal Mangel auf der See ist,
so muß ein Angekok für gute Bezahlung eine Reise dahin vornehmen. Sein Torngak,
oder Spiritus familiaris, der ihn vorher wohl
unterrichtet hat, führt ihn zuerst durch die Erde oder See. Dann paßirt er das
Reich der Seelen, die alle herrlich leben. Hernach aber
kommt ein gräulicher Abgrund oder Vacuum, darüber ein schmales Rad, das
so glatt wie Eis ist, und sehr schnell herum gedreht wird. Wenn er glüklich
darüber gekommen ist, führt ihn der Torngak bey der Hand auf einem über den
Abgrund gespannten Seil durch die Seehund-Wache,
in den Pallast dieser höllischen Furie. Sobald sie
die ungebetenen Gäste erblikt, schüttelt und schäumt sie vor Zorn,
und bemüht sich einen Flügel von einem See-Vogel anzuzünden, durch dessen Gestank
sich Angekok und Torngak zu Gefangenen ergeben müssen. Diese aber greiffen sie
an, ehe sie räuchern kan, schleppen sie bey den Haaren herum, reissen ihr die
unflätigen Angehänge ab, durch deren Charme die See-Thiere aufgehalten
werden, die darauf sogleich in die Höhe des Meers fahren. So gar findet der
Held den Rückweg ganz leicht und ohne Gefahr. - David Cranz 1761, nach:
Hans Peter Duerr, Sedna oder die Liebe zum Leben. Frankfurt am Main 1984
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