Schal  Wie in Gedanken versunken zog sie den Schal von ihren Haaren und ließ ihn mit ausgestreckten Händen im Wind flattern.

Auf einmal stieß sie einen kleinen unterdrückten Schrei aus. Ihr Schal hatte sich selbständig gemacht, war von einem plötzlichen Windstoß erfaßt und in die Höhe gewirbelt worden. Dann schwebte der Schal langsam nach unten. Die Frau starrte ihm verblüfft nach. Sie beugte sich über das Geländer.

»Na, so was — da ist er ja!« rief sie. Sie streckte den Arm aus, richtete sich aber gleich wieder auf und lächelte enttäuscht. »Ich komme nicht 'ran«, stammelte sie hilflos. »Dabei ist er nur ein paar Zentimeter von meinen Fingern entfernt. Er hat sich irgendwie verheddert. Wären Sie so nett...?«

Bliss lächelte höflich und kletterte nach einem Blick auf den flatternden Schal auf die Brüstung. Dann ging er in die Hocke und hielt sich mit einer Hand am Geländer fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Die Frau zögerte keinen Augenblick. Rasch trat sie hinter Bliss, stieß kräftig die Arme vor und wich schnell wieder zurück. Ihren Lippen entrang sich ein dumpfer Laut. Es war eine Erklärung, eine Verwünschung und eine gewisse Genugtuung: »Mrs. Nick Killeen!«

Er mußte es noch gehört haben. Beim Sturz in die Tiefe hatte ihn die Erinnerung sicher wie ein Blitzstrahl getroffen.   - Cornell Woolrich, Die Braut trägt schwarz. In: C. W., Phantom Lady / Die Braut trägt schwarz. München 1985

Schal (2)  »Das bläst ja wie ein richtiger Wirbelwind durch den Wald - und da fliegt jemandem ein Schal davon!«

Sie fing den Schal auf, während sie das sagte, und blickte sich nach seiner Besitzerin um: und alsbald kam auch schon die Weiße Königin wie wild durch den Wald herbeigerannt, die Arme weit ausgestreckt, als ob sie fliegen wollte; sehr höflich ging ihr Alice mit dem Schal entgegen.

»Ich bin froh, daß ich gerade da stand, wo er vorbeiflog«, sagte Alice und wollte ihr helfen, den Schal wieder umzulegen. Die Weiße Königin aber sah sie bloß hilflos und verängstigt an und gab dabei ein ständiges Gemurniel von sich, das so ähnlich klang wie »Buttersemmel, Buttersernmcl«, so daß Alice sich sagen mußte, wenn überhaupt so etwas wie eine Unterhaltung zustande kommen sollte, müsse sie wohl selbst den Anfang machen. Sie begann daher recht schüchtern: »Wenn ich die Weiße Königin vielleicht etwas begleiten dürfte... ?«

»Nun ja, wenn du das bekleiden nennen willst«, sagte die Weiße Königin, »bitteschön. Ich stelle mir darunter freilich etwas anderes vor.«

Alice hielt es für ganz unschicklich, gleich zu Beginn einer Unterhaltung einen Streit anzufangen; sie lächelte also und sagte: »Wenn Euer Majestät mir sagen wollen, was man dabei beachten muß, will ich es nach besten Kräften tun.« »Aber ich will es doch gar nicht getan haben!« stöhnte die arme Königin. »Seit zwei Stunden tue ich nichts anderes, als mich bekleiden!«

Es wäre gar kein Schade gewesen, so schien es Alice, wenn sie sich dabei hätte helfen lassen, denn sie war in einem schrecklich unordentlichen Zustand. »Sie hat jedes Stück schief an«, dachte Alice, »und über und Über steckt sie voller Nadeln!« - »Darf ich den Schal etwas geraderücken?« fragte sie laut. - »Ich weiß gar nicht, was er hat!« sagte die Königin bedrückt; »er wird wohl schlecht aufgelegt sein. Dabei habe ich ihn hier fcstgesteckt und da festgesteckt, aber man kann es ihm einfach nicht recht machen.«

»Aber er kann ja nicht gcradcliegen, wenn er einseitig festgemacht ist, nicht wahr«, sagte Alice und rückte ihn sanft zurecht; »du meine Güte, und wie Euer Haar erst aussieht!«

»Die Bürste hat sich darin verfangen«, sagte die Königin aufseufzend, »und der Kamm ist mir gestern abhanden gekommen.«   - Lewis Carroll, Alice hinter den Spiegeln. Frankfurt am Main 1974 (it 97, zuerst 1872)

 

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