Schändungsbetrieb  Wie wir hörten, entging sie bisher den Iwans. Sie läuft unentwegt im grauen Jackettanzug herum, mit Gurt und Schlips, einen Herrenhut tief ins Gesicht gedrückt. Das Haar hat sie ohnehin im Nacken kurz geschnitten. So rutscht sie bei den Russen, die von solchen Grenzfällen nichts wissen, als Mann durch, holt sogar Wasser und steht zigarettenrauchend an der Pumpe.

Pauli reißt Witze über dies Mädel, wünscht ihr eine ordentliche Umschulung, behauptet, es sei geradezu ein gutes Werk, ihr Kerle zu schicken, den strammen Petka beispielsweise mit seinen Holzfällerpratzen. Überhaupt fangen wir langsam an, den Schändungsbetrieb humoristisch zu nehmen, galgenhumoristisch.

Wir haben oft genug Grund dazu. So hat an diesem Vormittag wahrhaftig auch die Frau mit der grindigen Wange, entgegen meiner Prophezeiung, dran glauben müssen. Zwei Kerle fingen sie, als sie treppauf zu Nachbarsleuten wollte, und zerrten sie in eine der verlassenen Wohnungen. Dort bekam sie es zweimal ab, oder vielmehr anderthalbmal, wie sie sich rätselhaft ausdrückte. Erzählte, daß einer der Kerls auf den Grind gedeutet und gefragt habe: »Syphilis?« Worauf das Schaf im ersten Schreck doch den Kopf schüttelte und Nein rief. Kurz danach kam sie bei uns hereingestolpert, brauchte Minuten, ehe sie sprechen konnte, wir labten sie mit einer Tasse voll Burgunder. Schließlich erholte sie sich wieder und griente: »Und darauf hat man nun sieben Jahre lang gewartet.« (So lange lebt sie von ihrem Mann getrennt.)   - Anonyma, Eine Frau in Berlin. Tagebuch-Aufzeichnungen vom 20. April bis 22. Juni 1945. Berlin  2005 (zuerst 1954)
 

 

Schändung

 

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