Sargtransport   In einer braunen Kiste liegt ein reizender junger Mann. Er lächelt. Sehr angenehm. Hohe Stirn und neckisch spitzes Kinn... wenn man genau hinsieht, wächst eine Gelbfärbung den Hals hoch und hat beinah die Lippen erreicht, die weiß leuchten... als hätte man eine starke Salbe gegen Höhensonne aufgetragen... als wären sie aus der glänzenden Seide ausgeschnitten, die ihn umgibt...

Hinter uns knarzt es die Treppe hoch. Jemand legt mir die Hand auf die Schulter und schiebt sich vorbei.

Der mutmaßliche Sippenhäuptling schreitet zum Sarg, küßt den Toten auf beide Backen und den Mund. Danach gibt er uns ein Zeichen und verläßt den Raum. Gustl stößt mich an. Wir dürfen unseres Amtes walten; lose legen wir den Deckel drauf und pak-ken an. Gustl sieht sich nach allen Seiten um und zieht ein gespanntes, vorahnendes Gesicht. Wir stemmen den Sarg hoch. Da hängt sich etwas an meine Beine... das kalte Grausen tatscht mich. Uh! Eine der alten Frauen stößt den Deckel beiseite, wirft sich über die Leiche und knutscht sie ab. Über dem Schreck verlier ich das Gleichgewicht und laß die Ringe aus... der Sarg kracht aufs Gerüst zurück... Eine Kerze entzündet das Gewand des Weibsbilds... Plötzlich bricht ein Höllenlärm los! Einer der Männer kommt ihr zu Hilfe, erstickt die Flämmchen mit seinem Anzug... Großer Gott! Jetzt kippt das Gerüst um ... der Sarg fällt zur Seite, der junge Tote kullert hinaus, küßt den Teppich, verkrallt sich in langen Fasern. Das wirkt äußerst lebendig! Entsetzte Schreie... so eine Sauerei... Wir wollen ihn schnell wieder reintun... Da beugt sich eine Fratze her, und Fingernägel zerkratzen mein Gesicht. Binnen weniger Sekunden entlädt sich ein Gewitter über uns... eine Windhose... totales Tohuwabohu. ., Das Weib hat sich gehörig den Hintern versengt. Wie die aufprescht und durchs Zimmer johlt, mit beiden Händen ihre Brandwunden drückend... Und der Tote lächelt mild dazu... Wir hieven ihn in den Sarg zurück. Das andere Weib, das mit den scharfen Nägeln, geht daran, ihre eigene alte Fresse zu zerschlitzen! Einer hält sie fest. Die junge Frau schreit laut. Blökend springt die Verwundete von Wand zu Wand und knetet ihre Hinterbacken... Jetzt brüllt alles mit, heult, entleert sich, Ekstase, Urschreie, sapperlot! Die Attentäterin geht wieder auf mich los, rabenschwarzer Octopus, voller Angst schmeiß ich sie gegen die Wand. Sie klatscht dagegen und hält sich stöhnend den Leib. Einer der Männer scheint mit meiner Aktion nicht einverstanden. Krieg bricht aus. Zwei der vier Kerzen verlöschen, und gleich darauf noch eine... Man kann fast nichts mehr erkennen. Ich bekomm was aufs Maul und hau zurück... Da kenn ich-.. .... der Kerl sinkt hin... der ist vorerst erledigt! Und Flüche flattern, .hackende Fledermäuse... Gustl schlägt blind um sich... wie nach Fliegen... die wollen uns lynchen, jaja, die sind alle gegen uns und zwicken und treten... Zwischendurch busselt einer nach dem ändern den Toten ab. Den wollen sie nicht rausrücken! O nein! Sie behandeln uns wie Einbrecher. Ich preß mich an die Wand, zwecks Rückendeckung. Gustl kreischt, ich soll herkommen, schnell, er ist eingekreist... Können vor Lachen. .. Jemand beißt mir in den Oberschenkel. Ich trete nach dem bösen Kiefer... dann stürm ich zum Sarg. Gemeinsam stülpen wir noch mal den Deckel drauf... und der Tote lächelt. Jemand springt mir in den Rücken, mein Arbeitsmantel reißt durch... vom Nacken bis zum Arsch! Nicht zu fassen. Schlecht vernäht, würd ich sagen... und die Schatten tanzen durch den Raum, schunkeln hin und her... Die junge Frau rauft sich Haarbüschel aus, knallt ihren Schädel mehrmals gegen die Tapete... dann ohrfeigt sie Gustl, der die Augen gen Zimmerdecke hebt und ein Stoßgebet stammelt. Das scheint kein Ende zu nehmen. Ich plädiere auf Flucht! Die ganze Bagage fällt um wie die Kegel, wälzt sich übereinander, die Gelegenheit nutzen wir... schnappen die Kiste, schleifen sie über den Boden... schon haben wir ein paar Meter gutgemacht... erreichen sogar den Treppenrand. Dort holt man uns ein. Unten, am Fuß der Treppe seh ich den   Sippenchef stehn.

«TUN SIE DOCH WAS!» ruf ich ihm zu. Er kann sich zu keinem Machtwort entschließen, der Sippenkasper, der weitentrückte. Der macht sich's einfach... Der hat recht. Wir stolpern, purzeln, stöhnen, tretend, keifend, grölend. Ein Irrenhaus...  und dann rutscht der Sarg die Treppe hinab... gewinnt eine hübsche Geschwindigkeit... saust dem Häuptling auf die Treter. Wumm! Endlich sagt der auch mal was! Wenn's auch nicht viel Sinn ergibt. Ein berstender Lärm... Splitter fliegen aus dem Eichenholz.  Ist wirklich recht schwer, dieses Zeug... Die junge Frau, man möcht's nicht glauben, springt mutig dem  Sarg hinterher,  mit erhobenen Armen...   Der Wahnsinn hält sie zwischen den Klauen... Das poltert vielleicht. .. klingt nach Knochenbruch... das wird sie eine Weile beschäftigen. Wir stürzen auch. Gustl landet auf mir. Man macht sich am Deckel zu schaffen. Und jetzt endlich brüllt der Häuptling etwas Artikuliertes, Wütendes. Das wirft uns alle um. Plötzliches Schweigen. Mein Mantel ist, nebenbei gesagt, voller Spucke. Man entwirrt sich. Die junge Frau wird von Krämpfen geschüttelt, hat keine Kraft mehr... ein jaulender Brei... Wir reißen den Sarg hoch, und ab durch die Haustür, schmeißen ihn hinten in den Wagen, springen ins Fahrerhaus...   - Helmut Krausser, Fette Welt. Reinbek bei Hamburg 1993

Bestattungsunternehmen Sarg Transport

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