argholz
Hartnäckig hielt sich das Gerücht, von dem ich nicht weiß, wer
es mir zuerst erzählte, mich noch nicht einmal erinnern kann, ob es mir überhaupt
jemand erzählte, dass unser Mobiliar, die Stühle und Pulte, aber auch die von
der Schule zur Verfügung gestellten Arbeitsmaterialien, wie etwa Lineale, Bleistifte
und Rechenschieber, aus Sargholz hergestellt seien. Sargholz war ein eigenartiger
Begriff. Zwar stellte sich bei mir unmittelbar das Bild von aufgeschichtetem
Holz, aus dem man Särge fertigt, ein, doch hätte ich bei genauerem Nachdenken
nicht sagen können, wodurch sich das Sargholz von gewöhnlichem Holz unterscheidet.
War es Holz, das zur Herstellung von Särgen vorgesehen war, dann aber, vielleicht
weil nicht genug Menschen gestorben waren oder weil die Menschen, die gestorben
waren, sich keine Särge hatten leisten können, zur Herstellung anderer Gerätschaften
Verwendung fand? Dann wäre der Name Sargholz ein rein intentioneller gewesen
und hätte das sich bei uns fast reflexhaft einstellende Gefühl des Ekels kaum
gerechtfertigt. War es dann vielleicht Holz, aus dem man Särge gezimmert hatte,
die nun, weil der Platz auf den Friedhöfen eng geworden war, die Leichen ohnehin
verwest und zerfallen, ausgegraben und einer neuen Verwertung zugeführt wurden?
Es gab angeblich Hinweise und geeignete Prüfungsverfahren, um festzustellen,
ob es sich um Sargholz handelte oder nicht. Wenn man die Finger feucht machte
und mit ihnen auf der Tischplatte oder an der Stuhllehne entlangrieb, lösten
sich beim Sargholz kleine Partikel. Das war der Totenstaub, der sich in das
Holz eingefressen hatte. Wenn man auf einem Stuhl aus Sargholz saß, war einem
immer kalt, egal was man anzog und welche Temperatur draußen gerade herrschte,
außerdem schlief einem der Hintern ein. Mit den Linealen aus Sargholz konnte
man keine Winkel konstruieren, außerdem durfte man sie sich nicht beim Herumspielen
in den Ärmel schieben, weil sonst der Arm erlahmte und abstarb. Sah man genauer
hin, fanden sich kleine Lücken und Löcher im Holz. Die sogenannten Totenaugen,
da die Augen der Toten als Erstes verwesten und in ihrem Zerfall Spuren im Holz
hinterließen. Je jünger ein Toter war, desto tiefer waren die Augen, durch die
man angeblich nachts alles sehen konnte. -
(raf)