anatorium,
schweizerisches
Das Syndikat hatte das Kurhaus durch die Swiss Society
for Morality nicht ohne Hintergedanken erstanden. Es waren immer Mitglieder
aus dem Verkehr zu ziehen. Früher war das kein Problem gewesen, wen die Polizei
zu intensiv gesucht hatte, war leicht zu beseitigen, wen findet man einzementiert
im Hudson, im East River, im Michigan-See oder gar im Stillen Ozean wieder?
Das Syndikat war gründlich, es duldete keine Stümperei, doch seine Methoden
schreckten ab, erstklassige, sauber arbeitende Schwerverbrecher wurden Mangelware,
mit Dilettanten zu arbeiten schadete dem Renommee und setzte den Umsatz herab,
und so war denn das Kurhaus ein Fund. Das Syndikat wartete die Wintersaison
ab. Das Kurhaus wurde geschlossen, und die vom FBI gesuchten Profis wurden dorthin
abgeschoben, und die Spezialkiller und Starkidnapper in den Zimmern und Appartements
untergebracht, wo sommers die Reichen gebetet hatten. Nach dem Übermut beglückender
Armut lastete lähmende Trübsal, obgleich die alte Bequemlichkeit und der Luxus
wiederhergestellt worden waren. Das Syndikat wußte, was es den Seinen schuldete,
aber hatte nicht mit von Kücksen gerechnet. Dieser war zwar im Bilde, aber,
umgeben von Kunstschätzen und Literaten, die er aus dem Sankt-Gallischen, ja
aus Zürich, an seinen stets reich gedeckten Tisch am Fuß der Drei-Schwestern
lockte, versorgte er das Kurhaus mit Kunstbüchern und Klassikerausgaben. Hilflos
blätterten die Mafiosi, die noch Italienisch konnten, in der Göttlichen Komödie,
im Rasenden Roland oder in den Verlobten. Irische Gangster druckten
ihre Zigarren auf Finnegans Wake aus, Ganoven von der Westküste versuchten
im Shakespeare und im Verlorenen Paradies zu buchstabieren. So
saßen sich denn die Schwerverbrecher in den Lehnstühlen finster gegenüber und
bombardierten sich mit den Folianten. - Friedrich Dürrenmatt, Durcheinandertal. Zürich
1998
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