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Salz (2) Es überrascht mich nicht, daß dieses Pulver
Deinen analytischen Bemühungen widerstand. Es handelt sich nämlich um eine Substanz,
die vor vielen hundert Jahren — und selbst damals nur sehr wenigen — bekannt
war. Eine Substanz, von der ich mir nicht hätte träumen lassen, daß sie mir
einmal aus den Beständen einer neuzeitlichen Apotheke zugeschickt würde. Übrigens
gibt es keinen Grund, die Darstellung des alten Mannes anzuzweifeln. Zweifellos
hat er das ungewöhnliche Salz, wie er behauptet, über den Großhandel bezogen.
Doch dann dürfte es zwanzig Jahre oder länger in seinen Regalen gestanden haben,
und an dieser Stelle kommt ins Spiel, was wir den Wandel oder den Zufall nennen
mögen. In all diesen Jahren nämlich war das Salz in der Flasche gewissen, immer
wiederkehrenden Temperaturschwankungen ausgesetzt, Schwankungen zwischen etwa
40° und 80° Fahrenheit. Diese Schwankungen aber, die sich Jahr für Jahr in unregelmäßigen
Abständen und mit unterschiedlicher Dauer und Intensität wiederholten, haben
einen Prozeß von solcher Kompliziertheit und Subtilität in Gang gesetzt, daß
ich bezweifle, ob moderne wissenschaftliche Apparaturen — mit großer Präzision
gehandhabt — ähnliche Resultate zeitigen könnten. Das weiße Pulver, das Du mir
schicktest, ist etwas ganz anderes als das Medikament, das Du verschriebst.
Es ist das Pulver, aus dem der Wein des Sabbat, der Vinum
Sabbati, bereitet wurde. Ohne Zweifel hast Du vom Hexensabbat gehört und gelacht
über die Geschichten, die unsere Vorfahren in Schrecken versetzten, gelacht
über die schwarzen Katzen, die Besenstiele und die Flüche gegen die Kuh irgendeiner
alten Frau. Seitdem ich die Wahrheit kenne, habe ich mir oft gedacht, daß es
im Grunde eine gute Sache ist, daß die Leute an solche Burlesken glauben, dienen
sie doch nur dazu, vieles zu verbergen, das besser nicht allgemein bekannt würde.
- Arthur Machen, Die Geschichte vom weißen Pulver. In: A.M., Die
leuchtende Pyramide. Stuttgart 1983. Die Bibliothek von Babel Bd. 16, Hg. Jorge
Luis Borges
Salz (3) Die essentiellen Saltze von Thieren können
dergestalt präpariret und conserviret werden, daß ein gewitzter Mann die gantze
Arche Noah in seiner eigenen Studir-Stube zu haben und die vollkommne Gestalt
eines Thieres nach Belieben aus der Asche desselbigen zu erwecken vermag; und
vermittelst der-selbigen Methode vermag ein Philosoph, ohne jede verbrecherische
Necromantie, die Gestalt eines jeden todten Ahnen aus dem Staube zu erwecken,
zu welchem sein Cörper zerfallen ist. - Borellus, nach H.P. Lovecraft,
Der Fall Charles Dexter Ward. Frankfurt am Main 1971 (Insel Bibliothek des Hauses
Usher, zuerst 1941)
Salz (4) So sorgen wir uns sehr. Mal um das Salz,
mal um den Sockel, mal um das Salz auf seinem Sockel, mal um den Sockel unter
seinem Salz. Mal um den Sockel aus Buch, unter dem Salz aus Buchstaben, mal
um die salzigen Buchstaben auf dem sockeligen Buch. Mal um den flachgedruckten
Namen des Salzes in dem flachgedrückt gedruckten Salzpaket, mal um den flachen
Druck des Salzpaketes mit dem flachgedruckten Namen des Salzes draufgedruckt.
Und aus dem flachen Salz auf der Fläche der obersten Seite des Sockels aus Buch
steigt eine gesalzene Wolke voll salziger Bedeutung auf, erst in die Augen,
dann ins Gehirn, und vom Gehirn steigt auch eine auf, darauf steht geschrieben:
So sorgen wir uns sehr, mal um das Salz, mal um seine Bedeutung. Mal um das
Salz in unseren Augen, mal um das Salz in seinem Paket. Mal um das Salz auf
seinem Sockel, mal um unsere Augen in ihren Socken. Daraus steigt eine Wolke
auf, worauf geschrieben steht: Das Wandern ist des Müllers Lust. - Diter Rot, nach: Daniel Spoerri u.
a., Anekdoten zu einer Topographie des Zufalls. Neuwied und Berlin 1968
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