Salvarsan-Auge  Brisskij, ein kleiner dicker blonder Jude, lächelte wie selbstverloren, als er Parado, servil grüßend, auf sich zueilen sah.

»Setzen Sie sich, lieber Parado!« Brisskijs runde blaue Augen rollten ein freundliches Willkommen. Das rechte hatte eine Salvarsan-Drehung nach außen erlitten und schielte rührend. »Weshalb so aufgeregt?« Er schob ein Elzevlr-Bändchen von sich. «Haben Sie Ärger?«

»Schlimmer!« Parado blickte starr zur Seite.

Brisskij rieb, gleichsam besorgt, seine kurzen wulstigen Finger. »Eine Weibergeschichte?«

»Ja.« Parado wandte ihm schnell das Gesicht zu, an dem es wie leiser Ingrimm riß. »Aber eine sehr eigenartige. Ich hatte das Frauenzimmer angesprochen, weil es so aufopfernd mit mir kokettierte. Sie behauptete, Deutsche zu sein, obwohl sie fließend englisch sprach und sehr schlecht deutsch. Sie zwang mich, sie zum Diner einzuladen, bezahlte aber heimlich auch für mich. Sie gab vor, in der Bond Street zu wohnen und trat auch dort in ein Haus. Zehn Minuten später aber sah ich sie einige Häuser weiter in einer kleinen Bar wieder. Außerdem hatte sie Hände wie eine Gemüsefrau und ein zweifellos ausgeliehenes Kostüm. Nun, wie finden Sie das?«

»Absurd.«

Brisskij wiegte, gewissermaßen vergrämt, das Haupt.

»Sie haben da sicherlich etwas übersehen. Vielleicht war sie von der Heilsarmee.«

Parado stieg plötzlich das Blut zu Kopf: das war ja fast offener Hohn. Er mußte Fäuste machen, um ruhig sagen zu können: »Warum nicht gar - Esperantistin?«

»Also bitte. . .« wehrte Brisskij beleidigt ab.

»Bemühen Sie sich nicht.« Parado blickte finster auf seine Finger. Dann lümmelte er sich drohend über das Tischchen. »Es war eine Polizei-Agentin.«

»Blödsinn«, brummte Brisskij achselzuckend.

Parado lehnte sich enttäuscht zurück. »Warum?«

»Vor vierzehn Tagen war es genau so. Als Sie demselben Gesicht dreimal begegneten, wurden Sie nervös. Jetzt genügen Ihnen bereits ein paar dumme Lügen.«

»Und ich wiederhole Ihnen, daß man mich überwacht.«

Brisskij stülpte die überhängende Oberlippe in seinen Whisky und winkte erledigend mit dem Stock. »Sie haben Maikäfer im Kopf.«

»Schwerlich. Aber sehr gute Augen, die gesehen haben, daß Sie mit mir in den engen City-Straßen spazieren gingen, um mich den am Wege aufgestellten Spitzeln zu zeigen. Dabei ließen Sie mich eigens rechts gehen, indem Sie behaupteten, auf dem linken Ohr schlecht zu hören. Unterwegs traten Sie in drei üble Butiken, um gewisse Avis zu geben, denen zufolge man mich vor jenem kleinen Lokal, als wir Wein tranken, sehr geschickt photographierte.« Parado, der kalt lächelnd seine Trümpfe hinhieb, ließ nun eine spitze Entschlossenheit in seinen Blick und seine Fäuste auf den Hüften sich drehen.

Brisskij stellte das Glas nieder, leider ohne aufzublicken. »Kann man solche Beobachtungen machen, ohne pathologisch zu sein?«

»Kann man. Und man kann sogar wissen, daß ein Harmloser nach derartigen Mitteilungen die Möglichkeit einer Überwachung zugeben sollte, auf jeden Fall aber erstaunt und neugierig sein wird. Nur ein Spitzel dürfte versuchen, einem alles auszureden.«

Brisskij hob die Augen, die vor Parados neu einsetzenden scharfen Blicken einander zu jagen schienen. Es war so komisch, daß Parado Mühe hatte, seinen Ausdruck zu halten.

Bald aber ging um Brisskijs Lider eine deutliche Sammlung vor sich, die allmählich zu einem solch frechen Blick sich verdichtete, daß Parado es für unausweichlich erachtete, ihm Knallenderes hinzuwerfen: »Lieber Mister Brisskij, ein Polizeigehirn sieht eben überall Intriguen und vermag sich schlechterdings nicht vorzustellen, daß ein sehr gut russisch sprechender Argentinier, der in London mit amerikanischen Schecks zahlt, bloß Geschäfte mit Rußland macht. Hinzukommt meine über allen Zweifel erhabene äußerst lockere Lebensführung, die ja bekanntlich das ausschließliche Vorrecht von Verbrechern ist. Ich weiß also, daß die sprichwörtliche Zähigkeit von Scotland Yard jahrelang an mir sich erproben wird. Das kostet viel Geld und wird Ihnen weder Ruhm einbringen noch die erwartete - Prämie. Denn wenn ich wirklich russischer Agent wäre, hätte ich mich doch längst mimosisch isoliert. Die augenblickliche Sachlage bringt Ihnen also keine Vorteile und mir bloß kleine Nachteile, die Ihnen auch nichts nützen.« Parado spritzte sich gleichmütig Siphon in seinen Cassis und vermied es -diesmal auch sonst, Triumphähnliches zu produzieren, hoffend, durch Abwechslung zu wirken.

Brisskij aber schwieg hartnäckig und verlegte sich darauf, ein gepeinigtes Gesicht zu machen. Sein Salvarsan-Auge turnte mit Macht.  - Walter Serner, Auf schwindelnder Höhe. In: W. S., Der Pfiff um die Ecke. München 1982 (zuerst ca. 1923)

 

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