- Guillaume
Apollinaire, Die elftausend
Rute
n.
München 1985 (zuerst 1907)
Salon (2) Der seltsamste »Salon« in Amerika war der Noras. Ihre Haus lag versteckt inmitten eines Urwaldes von Schlinggewächs und wilden Pflanzen. Bevor das Anwesen in Noras Hände fiel, war es zweihundert Jahre im Besitz ein und derselben Familie gewesen. Es enthielt eine eigene Begräbnisstätte und eine zerfallende Kapelle, in der Zehnerreihen von schimmelnden Psalmbüchern standen, vor einigen fünfzig Jahren niedergelegt, in einer Flutwelle von Vergebung und Absolution.
Es war der Salon für die ›Armen‹: für Dichter, Radikale, Bettler, Künstler
und Liebesleute; für Katholiken, Protestanten, Brahmanen, Dilettanten in schwarzer
Magie und Medizin. Alle diese konnte man um Noras Eichentisch sitzen sehen,
vor dem riesigen Feuer, und Nora hörte zu, die Hand auf ihrem Hund; der Feuerschein
warf ihren Schatten und den seinen steil gegen die Wand. Aus dieser vollen Besatzung,
ihrem Getöse und Gebrüll, hob sie allein sich ab. Das Gleichgewicht ihrer Natur,
wild und veredelt, verlieh ihrem gezügelten Schädel einen Ausdruck von Mitleiden.
Sie war breit und groß, und obgleich ihre Haut die Haut eines Kindes war, konnte
man schon früh in ihrem Leben die Grundierung dessen erkennen, was die vom Wetter
gekerbte Maserung ihres Gesichtes werden sollte: Holz bei der Arbeit; der Baum,
der in ihr ans Licht trat: unverzeichnetes Material im Archiv der Zeit. - Djuna Barnes, Nachtgewächs.
Nach D.B., Hinter dem Herzen. Berlin 1994
Salon (3)
- Otto Dix
Salon (4) Offenbar existierte noch ein Rest, ein Überbleibsel von Rémy de Gourmonts (schlecht ausgestattetem) altem salon, einem der Wunder des vorigen Jahrhunderts, über den eine gewisse tapfere Person namens Natalie Clifford Barney den Vorsitz führte. Das Ganze kommt einem vor, als sei es in Bernstein konserviert aus der Zeit der Renaissance herübergerettet worden. Ezra empfand für Natalie Barney, l'Amazone, wie sie einmal genannt wurde, nichts als Ehrerbietung. Freilich hat Ezra altem Ruhm schon immer gehuldigt: was ich für einen seiner edelsten Züge halte.Jedenfalls hatte Natalie uns/.um Tee geladen, was mir gegenüber, einem der Barbaren aus Ezras Jugendzeit, ein ungeheures Zugeständnis ihrerseits bedeutete.
Sie war überaus gnädig und ganz gewiß nicht töricht, weit weniger als Ezra unter diesen Umständen. Sie konnte zwei und zwei ohne weiteres zusammenzählen. Ich bewunderte sie und ihren reizenden gepflegten Garten, ihre Lachtauben, ihre japanischen Dienstboten. Es waren auch Offiziere mit roten Knöpfen an den Aufschlägen anwesend, und Frauen aller Art. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie eine kleine Clique von ihnen sich in ein Nebenzimmer verdrückte, wobei sie verstohlene Blicke um sich warfen, in der Hoffnung, daß ihr Abgang nicht unbemerkt bleibe. Ich ging hinaus, um erst mal ordentlich zu pissen.
Von irgendeinem Mitglied der Abgeordnetenkammer, einem dicken, rotge sichtige
n Mann, der einmal nach einem routinemäßigen Empfang hier aufgetaucht war, wird
folgende Geschichte erzählt: er stand allein, ohne Partner, mitten auf der Tanzfläche
und sah zu seiner Verärgerung nur Frauen um sich, die ausgelassen miteinander
tanzten. Hierauf knöpfte er seine Hose auf, zog seinen Schwengel
hervor, schlenkerte ihn hin und her und brüllte wutentbrannt: »Schon mal so
was hier gesehen?« - (wcwa)
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