S-Bahn   

S-BAHN

Berlin, 1965

Der Geruch nach Pulver,
die Leichen sind weggeschafft,
das Gas stieg auf und verteilte sich.
Kaiser, Präsident, Führer
kamen und gingen,
Hausfrauen mit komischen Hüten
kamen aus Vororten einkaufen,
kamen aus Stadtwohnungen,
Wälder und Seen zu verdrecken
und von der »Natur« zu schwärmen.
Was bleibt, ist Waggongeruch,
Tabakrauch und schale Heizungsluft,
unbestimmbarer, unveränderlicher
Affenhausgestank,
der auf den Sitzen lastet, die hart sind wie je
nur leerer,
jetzt, da der Zug die eine Ödnis
mit der andern verbindet,
sich pünktlich wie immer durch den Schotter
vom Kaiser, Präsident und Führer schiebt,
angehalten wird, durchsucht, gesäubert
von solchen, denen er zu großen Dienst erwiese
diesen Winter, da er, abgefertigt,
die Grenze kreuzt, das Niemandsland,
und nur den Geruch hinüberträgt
zu den Neonlichtern,
vorbei an dem tieferen Schnee
um die Villen toter Bankiers
und dem Kiefernwald-Dunkel
in die Endstation,
wo ein Fremder sich die kalten Füße vertritt. 

- Michael Hamburger, nach (frach)

Eisenbahn

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