uf
Es wird berichtet, daß die Stimme
sprach gegen Iskander Zualkarnain und ihm befahl, seine Lenden todwärts zu gürten.
Und da er auf seinen Reisen alle Gegenden und Menschen genossen hatte, sagte
er vor sich hin: »O blinder Sklave des Geschickes, wohlan, freue dich endlich,
denn nun wirst du erfahren, was nach diesem kleinen Leben sein wird.« Also haderte
er nicht mit jener Stimme letzten Befehls, sondern gebot Sklaven, ihm seine
zwei Hörner wie für ein Fest zu putzen. Und nachdem er noch vorsichtshalber
einen ganzen Wildesel verzehrt hatte, bestieg er ein Eilkamel, um nicht zu säumen
und so zu beleidigen den Ruf des ehrwürdigen Todes. Aber seine Dichter, die
Nachtigalleulen, begannen auf eine schöne Weise zu klagen und versuchten, sein
gleichgültig schauendes Herz mit ihren gelinden Traurigkeiten zu erfüllen und
den der neuen Sache Begierigen wieder an die knappen Habseligkeiten des Lebens
zu binden. Das Eilkamel jedoch in dreihöckeriger Weisheit erinnerte sich verzehrter
Dattelkerne, und indem es den Dichtern warmen Mist des Lebens ließ für die rauhen
Nächte der Zukunft, verschwand es mit dem König der Zeit im Wald. Er aber sprach
zu seinem Bart: »Nicht begreif ich die sachte Trauer der Gefährten meines Atemholens.
Wenn ich ihnen entgleite, so können sie mich doch zurückhalten in den Bogen
und Windungen ihrer schlangengleichen Gedichte. Ich
aber hab es schwerer als diese Gezähmten: ich muß etwas tun. Nun hab
ich einen ganzen Wildesel gegessen, denn es ist nicht
gut, dem Tod angstvoll und mit hungerndem Magen entgegenzutreten. Sollte er
mir nicht gefallen, so kann ich, ein Herr, ihm wenigstens mancherlei ins Gesicht
rülpsen, wie es sich gebührt. - Albert Ehrenstein, Iskander,
nach A.E.: Gedichte
und Prosa. Neuwied u.a. 1961
Ruf (2) Plötzlich scholl, ganz aus der Nähe, von einer unbekannten Höhe herab, ein langgezogener hoher Ruf. Der Ruf zersplitterte in viele Worte, die sich folgten und überstürzten, immer in der gleichen hohen Tonlage. Dazwischen sank die Stimme, unerwartet fast, um eine ganze Oktav, um gleich wieder zu ihrer früheren Höhe aufzuschnellen.
Schweigend stand der Alte auf, nahm den rauhen Mantel von den Schultern und legte ihn auf den Boden; er stand nun da in einem ärmellosen Hemd, das bis zur Mitte der Waden reichte. Dann neigte er sich, richtete sich auf, kniete hin, berührte den Boden mit der Stirne, ausgestreckt die Arme und die Hände flach auf den Steinfliesen, und dazu raschelte leise seine Stimme. Es klang, wie wenn der Wind mit verkohltem Papier spielt.
Kaum aber war die springende Stimme des Unsichtbaren verstummt, da saß der
Alte wieder auf seinem Platz, eingehüllt in seinen Wollmantel und gab Zeno laute
Befehle. - (
gou
)
Ruf (3) Der Vater war
krank und mußte zu Hause bleiben. Nellie saß neben seinem Bett und langweilte
sich, aber jedesmal, wenn sie leise wegschleichen wollte, griff er nach ihr
und hielt sie fest. Verdrossen schurrte sie mit ihren Füßen auf dem Holzboden,
sie bemerkte den Hund, der sie erwartungsvoll ansah, aber sofort den Kopf wegdrehte,
als er ihrem Blick begegnete. Sie rief ihn leise, und er kroch zu ihr, drehte
sich vor ihren Füßen auf den Rücken und blinzelte. Nellie, die sehr ernst war
für ein Kind von acht Jahren, und der Hund, den man auf der Straße ausgesetzt
und verstoßen hatte, spielten miteinander, als schämten sie sich deswegen. Der
Hund ging tapsig und gravitätisch auf Nellies Vorschläge ein, zutraulich und
trotzdem noch vorsichtig, aber als sie neben ihm lag und laut lachte, weil er
ihr mit der Zunge über das Gesicht gefahren war, klopfte er mit seinem buschigen
Schwanz vor Freude ein paarmal kräftig auf den Boden. Der Vater war eingeschlafen,
als Nellie ihren Namen rufen hörte. Sie hob ihr Gesicht aus dem Fell des Hundes,
sah einen Augenblick zum Fenster, schüttelte dann den Kopf und schmiegte sich
wieder neben ihren neuen Freund. Am nächsten Morgen fand der Vater den Hund
tot neben dem Schuppen. Es war ihm nichts anzusehn, er lag da, als schliefe
er, nur fing er schon an, kalt zu werden. -
Fanny Morweiser, Schnee. Aus: Das Tintenfaß. 10. Jahrg.,
24. Folge. Zürich 1974 (Diogenes)
|
||
|
||