Roßkastanie    Langsam, in aller Ruhe, legte ich meinen Vater in die Schublade zurück.

»Du läßt mich abends nie draußen«, beklagte er sich in seiner unwirschen und unflätigen Art, die mich einen Augenblick lang in Versuchung führte, ihn ganz sacht in meiner Hand zu zerquetschen und mir sein Fledermausblut durch die Hände rinnen zu lassen. Ich antwortete ihm ruhig (als kleiner Junge war ich bei den Barmherzigen Brüdern in die Schule gegangen):

»Du weißt doch, daß es dir nicht bekommt.« Ich schwieg eine Weile. »Du bist alt«, fügte ich dann herzlich hinzu, »bald bist du sowieso tot. Dann hängen wir dich zum Verwesen hinauf in die Bäume - mitten zwischen die schönen Blätter der Roßkastanie.«

»Du mit deiner Roßkastanie«, sagte mein Vater mit seiner ekelhaften und feigen Mailänder Stimme. »Die hast du mir schon letztes Mal versprochen - und dann hast du sie mir doch in den Arsch gesteckt, deine Roßkastanie.«

Ich erschauerte. Als wir etwa im gleichen Alter waren — ich war aber immer stärker und unvorsichtiger als er, weil ich weniger häufig gestorben war - geschah es mir oft, daß ich stundenlang wie wild auf meinen Vater einschlug, mit Riemen, Stöcken, großen Nägeln und Glasscherben, besonders auf sein Zahnfleisch und seine Genitalien, die bei ihm riesengroß sind und die er sich gerne in exhibitionistischer Weise anmalt. Ich schlug ihn, weil er fluchte und dadurch meine Mutter quälte und weil, kurzum, seine ganze Rede nichts weiter war, als ein widerwärtiges Zotenreißen - dermaßen, daß es zu einem beklemmenden Unternehmen geriet, aus diesem gräßlichen Geschwafel einen Sinn herauszulesen. Fäkalien, Sperma, Gott, Urin und Vorstadtfrevel umkreisten alle seine Sätze, auch die dürftigsten und trivialsten, und in jedem Augenblick war er durch Barrieren labyrinthischer Kloaken von seinesgleichen getrennt.

»Erinnere dich«, begann ich wieder zärtlich, »daß damals auch unsere Kusine Aurelia starb.«

»Diese Kuh«, sagte mein Vater, nicht ohne Zärtlichkeit, denn er hatte oft mit meiner Kusine geschlafen, ja, er hatte sie bei der Suche nach einem besonders kulinarischen und arabeskenreichen Orgasmus sogar getötet. - Giorgio Manganelli, Unschluß. Berlin 1978 (Wagenbach Quarthefte 82, zuerst 1976)

Früchte

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