Rosenkranz  Eine blaue Pfote kam über den Fensterrahmen. Mein Vater drehte sich um und vergrub den Kopf im Kissen. Er spürte, wie der aufgeplusterte Kopf am Fenster auftauchte und die Augen ihm in den Nacken stachen. Deutlich spürte er die beiden Stellen am Körper, etwa vier Zoll auseinander. Dort juckte es. Oder, andersrum: es juckte ihn am ganzen Körper - ausgenommen an den beiden Stellen. Er spürte, wie das Geschöpf in den Raum hereingewachsen kam; es glühte wie Eis und verströmte stürmische Winde. Sein Moskito-Netz blähte und bauschte sich im Luftzug, legte ihn bloß, beraubte ihn seines Schutzes. Er befand sich in einer solchen Ekstase des Entsetzens, daß er's fast genoß. Er war wie ein Schwimmer, der sich zum erstenmal ins eisige Wasser stürzt und dem's die Sprache verschlägt. Er versuchte zu schreien, doch alles, was aus seinen paralysierten Lungen kam, waren johlende jodelnde Geräusche. Er wurde Teil des Sturms.

Sein Bettzeug war weg. Er spürte, wie der Troll seine Hände ausstreckte.

Mein Vater war ein Agnostiker, doch wie die meisten Müßiggänger war er sich nicht zu gut dafür, einen Vogel zu haben. Sein Lieblingsvogel war die Psychologie der katholischen Kirche. Er war jederzeit bereit, stundenlang über Psychoanalyse und Beichte zu reden. Seine größte Entdeckung war der Rosenkranz gewesen.

Der Rosenkranz, pflegte mein Vater zu sagen, sei einzig und allein als Beschäftigungs-Therapie gedacht, um die unteren geistigen Hirn-Regionen zu beruhigen. Das automatische Durch-die-Finger-gleiten-lassen der Perlen befreie die höheren Regionen zur Meditation über die Mysterien. Sie waren ein Sedativum: wie Stricken oder Schafezählen. Gegen Schlaflosigkeit gebe es kein besseres Heilmittel als den Rosenkranz. Sei mehreren Jahren hatte er tiefes Atmen oder normales Zählen aufgegeben. Wenn er nicht einschlafen konnte, lag er auf dem Bett und ließ die Perlen durch seine Finger gleiten; in der Tasche seiner Pyjama-Jacke war ein kleiner Rosenkranz.

Der Troll streckte die Hände aus, um ihn um die Taille zu packen. Er war vollständig gelähmt, so, als habe man ihm die Luft abgeschnürt. Der Troll legte seine Hände auf die Perlen. Die okkulten Kräfte krachten über meines Vaters Kopf zusammen. Es gab eine Explosion, sagte er, eine schnelle Entladung. Positiv und negativ. Plus und Minus. Ein Blitz, ein Strahl. Etwas wie das Prasseln, wenn der Stromabnehmer beim Rangieren der Bahn wieder die Oberleitung berührt.

Der Troll stieß einen schrillen Schrei aus, wie ein Krebs, der in kochendes Wasser geworfen wird, und schrumpfte allsogleich zusammen. Er ließ meinen Vater fahren und machte kehrt und rannte heulend zum Fenster, als hätte er sich furchtbar verbrannt. Mit abnehmender Größe verblaßte auch seine Farbe. Jetzt war er wie ein Gummi-Tier, das mit zischendem Geräusch in sich zusammenfällt. Er krabbelte übers Fensterbrett: jetzt kaum größer als ein kleines Kind, und schrumpfte zusehends.

Mein Vater sprang aus dem Bett und folgte ihm zum Fenster. Er sah, wie er, einer Kröte gleich, auf die Terrasse fiel, sich aufraffte, und schwankend und taumelnd und - wie eine Fledermaus pfeifend - ins Tal des Abiskojokk entschwand.  - T. H. White, Kopfkalamitäten. Franfurt am Main 1987 (S. Fischer, Bibliothek der phantastischen Abenteuer)

Rosenkranz (2) Father Brown schwieg einen Augenblick; dann sagte er mit einem Ausdruck, als sei es nebensächlich:

»Was mir als erstes auffiel, war das Kreuz; oder vielmehr die Schnur, an der das Kreuz hing. Natürlich war es für die meisten von Ihnen nur eine Perlenschnur und nichts weiter; aber ebenso natürlich lag das mehr auf meiner als auf Ihrer Linie. Sie werden sich erinnern, daß es dem Kinn sehr nahe lag und daß nur wenige Perlen sichtbar waren, als ob das ganze Halsband sehr kurz sei. Aber die Perlen, die sichtbar waren, waren auf eine besondere Weise angeordnet, erst eine und dann drei, und so weiter; tatsächlich erkannte ich auf den ersten Blick, daß es ein Rosenkranz war, ein einfacher Rosenkranz mit einem Kreuz am Ende. Nun weist aber ein Rosenkranz mindestens fünf Zehnergruppen und außerdem zusätzliche Perlen auf; deshalb fragte ich mich natürlich, wo wohl der Rest von ihnen war. Er würde sehr viel häufiger als nur einmal um den Hals des alten Mannes reichen. Damals verstand ich das nicht; und erst später erriet ich, wo die überschüssige Länge geblieben war. Sie war um den Fuß der Holzstütze gewickelt, die in der Ecke des Steinsarges festgekeilt war und den Deckel offen hielt. So daß, als der arme Smaill auch nur leicht an dem Kreuz zupfte, dies die Stütze aus ihrer Stellung zog und der Deckel ihm auf den Schädel krachte wie eine Steinkeule.«  - G. K. Chesterton, Der Fluch des Goldenen Kreuzes. In: G.K.C., Father Browns Ungläubigkeit. Zürich 1991

Rosenkranz  (2)   Bald traf er auf den Drachensee, den er durchschwimmen mußte, und kaum war er darin, so eilten die Drachen von allen Seiten herbei, um ihn zu verschlingen. Diesmal unterhielt sich Peronnik nicht damit, vor ihnen die Mütze zu ziehen, sondern er warf ihnen die Perlen des Rosenkranzes vor, wie man den Enten Korn vorwirft, und bei jeder verschluckten Perle drehte sich ein Drache auf den Rücken und verendete, so daß der Dummling das andere Ufer ohne Schaden erreichen konnte. - (bret)

 

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