orschach-Test
Es gibt ein Bild, das heißt Springer und sieht so ähnlich aus wie
die erste Karte, die mir Dr. Märklin hinhält. Oft weiß ich nicht wie rum ein
Baumeister eigentlich gehört, und einen Arp
habe ich für viele Monate verkehrt herum in mein Album eingeklebt. Dr. Märklin
scheint das egal zu sein, denn er sagt, ich kann die Karte ruhig drehen, aber
das mache ich nicht, denn auch das könnte nur ein Test sein. Gleichzeitig kann
ich nicht einfach nichts sagen. Also deute ich auf die erste Karte und sage:
Springer. Springer?, fragt Dr. Märklin zurück. Springer, wiederhole ich. Dr.
Märklin nimmt die nächste Karte und legt sie vor mich auf den Tisch. Belebte
Halde fällt mir ein, ein anderer Titel von Baumeister. Aber das kann ich so
nicht sagen, weil es komisch klingt. Also sage ich: Eine Halde mit Menschen.
Eine Halde?, fragt Dr. Märklin. Ja, eine Halde, das ist... Ich weiß, was eine
Halde ist, unterbricht mich Dr. Märklin und legt mir die nächste Karte vor.
Unruhe, sage ich. Das ist zwar der Titel von einem Kandinsky, aber wahrscheinlich
geht es Dr. Märklin ohnehin mehr um Gefühle. Es ist schade, dass er nur zehn
Karten insgesamt hat, denn ich muss in Gedanken nur meine beiden Alben durchgehen
und könnte ihm gut zwei Dutzend Titel nennen. Kommender Traum, das ist wieder
Baumeister. Ich sage stattdessen: Der nächste Traum. Dann Trennung - Kindheit,
was ich in Trennung der Kinder umformuliere, auch wieder Kandinsky. Viel zu
spät fällt mir Klee ein; Aufstand der Viadukte, die Zwitschermaschine,
aber vielleicht ist das auch gut so, die Klee-Titel sind zu auffällig, die kennt
Dr. Märklin bestimmt. Also denke ich mir als Letztes selbst wieder etwas aus.
Auf dem Bild, das so farbig ist wie keins zuvor, wimmelt es von kleinen Tieren
und Ungeheuern. Aber es sind nicht solche Ungeheuer wie auf den Gruselbildern,
sondern sie sehen anders aus, mit dicken Leibern und vielen Beinen, fast noch
bedrohlicher, obwohl sie sich schnell wieder in den Klecks zurückverwandeln,
aus dem sie gekommen sind. Oben erkenne ich jetzt zwei blaue Krebse mit je einer
großen grünen Schere, mit der sie nach zwei schwarzen Geistern schnappen, die
eine Kerze oder eine Rakete oder eine Säule halten, während unten zwei Männlein
links und rechts gegen eine komische. rote Form drücken, die in der Mitte von
etwas zusammengehalten wird, das wie ein Beckenknochen aussiebt. Wenn man aber
die roten Formen nicht als Beine nimmt, sondern als Hintergrund und das Weiße
dazwischen als Form, dann entsteht ein Körper, der einen blauen Gürtel trägt
und einen Penis hat, nein, eher einen Eierstock, weil zwei Kanäle nach innen
führen und außerdem ein Halbkreis die Scheidenöffnung andeutet. Die Figur hat
die Beine gespreizt, und jetzt erkenne ich auch das Dreieck als das Dekolleté,
das, was man in der Mitte zwischen den Brüsten sieht, und die beiden schwarzen
Geister umrahmen den Kopf der Frau und stechen ihr von oben mit einer Spritze
in den Schädel, und die beiden Krebse schnappen nicht nach ihnen, sondern freuen
sich und klatschen mit ihren vielen Beinen Beifall. Die Frau tut mir leid, sie
liegt mit gespreizten Beinen dort und bringt ein Kind zur Welt, und etwas Grünes
strömt aus ihrer Scheide die Schenkel entlang und wird zu zwei Pfauen, die über
eine Wiese rennen. Ich kann mich von dem Bild gar nicht mehr losreißen und möchte
es immer weiter anschauen. Es ist besser als ein Baumeister oder Klee, vielleicht
nicht besser, aber anders. Frau im Kindbett, sage ich schließlich, obwohl ich
gar nicht genau weiß, was das heißt: im Kindbett, und ob man im Kindbett ein
Kind erst bekommt oder schon bekommen hat, weil man ja eigentlich das Kind im
Krankenhaus bekommt auf der Station, und vielleicht geht es ja auch um eine
Fehlgeburt, wie mein Brüderchen oder Schwesterchen, das zwei Jahre vor meinem
kleinen Bruder auf die Welt kam und im Krankenhaus gestorben ist. - (raf)
Rorschach-Test (2)
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