omanze Schiffbruch. Ein Atoll. Auf einer Südsee-Insel allein mit dem schaudernden Kind einer ertrunkenen Passagierin. Liebling, es ist ja nur ein Spiel! Wie wundervoll waren die Abenteuer meiner Phantasie, wenn ich auf einer harten Parkbank saß, scheinbar in ein zitterndes Buch vertieft. Um den stillen Gelehrten spielten Nymphchen so unbekümmert, als sei er eine vertraute Statue oder Teil vom Schatten- und Lichtspiel eines alten Baums. Einmal stellte eine vollkommene kleine Schönheit in einem Schottenkleidchen klappernd ihren schwerbeschuhten Fuß neben mich auf die Bank, und es durchfuhr mich, als ihre nackten Arme mich streiften, um den Riemen ihres Rollschuhs festzuziehen; und ich löste mich in der Sonne auf, mein Buch als Feigenblatt, als ihr kastanienbraunes Gelock über das aufgeschundene Knie fiel, und der Blätterschatten, den wir teilten, auf ihrem strahlenden Schenkel neben meiner chamäleonischen Wange zitterte und schmolz. Fin anderes Mal hing in der Metro ein rothaariges Schulmädchen an der Halteschlaufe über mir, und der Anblick ihres rötlichen Achselflaums, der mir zuteil wurde, haftete wochenlang in meinem Blut. Ich könnte eine lange Liste solcher einseitigen Miniromanzen aufstellen. Manche von ihnen endeten mit einem würzigen Vorgeschmack der Hölle. Zum Beispiel kam es vor, daß ich von meinem Balkon aus gegenüber ein erleuchtetes Fenster sah und etwas, das wie ein Nymphchen schien, im Begriff, sich vor einem kooperativen Spiegel auszuziehen. In ihrer Isolierung, in dieser Entfernung war die Vision von ganz besonders starkem Reiz, der mich mit Höchstgeschwindigkeit meiner einsamen Befriedigung zurasen ließ. Aber plötzlich, teuflisch, verwandelte sich das zarte Bild der Nacktheit, das ich vergöttert hatte, in den widerlichen, lampenbeleuchteten, nackten Arm eines Mannes in Unterzeug, der in dieser heißen, feuchten, trostlosen Sommernacht am offenen Fenster seine Zeitung las.

Seilspringen, Kreishüpfen. Die Alte in Schwarz, die sich neben mich auf die Bank setzte, auf meine Folterbank der Lust (ein Nymphchen suchte unter mir eine verlorene Murmel zu ertasten), und fragte, ob ich Leibschmerzen hätte, die unverschämte alte Hexe! Ach, laßt mich allein in meinem Kleinmädchenpark, in meinem moosigen Garten. Laßt sie für alle Zeiten um mich spielen. Nie erwachsen werden.  - (lo)

Romanze (2) der Gefahren
 

Die Häuser auf den weichen Schwanenhälsen
Gleich Schilf und Farnkraut schwanken im Orkan.
Der Mond, der gegen einen Marmorfelsen
Geweht wird,  pfeift im  Fieberwahn.

Es wirbelt irr die Weltenzentrifuge,
Knallerbsen  knattern durch die Atmosphäre
Verschiedener Planeten, und es wäre
Das Los des Welten-Untergangs aus seinem Kruge

Gesprungen!  (wie hätt's an der Börse da gekracht!)
Sitzt nicht schon jetzt die Ente tief im Traum
Und angelt emsig in dem  Bergwerksschacht
Das Purpur-Nilpferd auf dem  Eukalyptusbaum ?

Weh' Euch!  schon sind die arg verhexten Heere
Von rätselhafter Krankheit schwer durchseucht.
Ein  Liebespaar,  vom Wildschwein aufgescheucht,
Erklimmt den Semaphor im Caraibenmeere.

Schon saust die schmucke Geißel  der Astarte
Auf schmale Rücken winselnder Tribaden.
In der Kaschemme sitzt die sonst so smarte
Pastorenfrau  mit tätowierten Waden.

Der Teufel lächelt liebreich und perfide;
Dämonen schwirren (obligat)  mit Schwefelstank.
Und Engel selbst, so blond und so solide,
Erweisen sich gar als venerisch krank!

Politisch Dokument hört man  im  Brande knistern.
Ein Herr mit einer käseblauen  Brille
Steigt einem Mädchen scheu in die Pupille.
Der Sturm  heult los  mit sämtlichen  Registern.

Die Menschen werden noch zu typischen Azteken.
Ein Eisbär brummt voll Weltstadt-Ironie;
Hingegen wir für unsre letzten paar Kopeken
Den Whisky schlürfen aus dem Parapluie.

- Dr. Carl Heinrich Döhmann (Daimonides) in: Schall und Rauch 5, 1920

Romanze (3) vom schwarzen Elend

Für José Navarro Pardo

Hähne meißeln in die Nacht,
schürfen nach der Morgenröte,
als vom dunklen Berg herunter
Soledad Montoya kommt.
Ihre Haut aus gelbem Kupfer
hat den Duft von Pferd und Schatten.
Rauchgeschwärzte Amboßbrüste
stöhnen ihre runden Lieder.
Nach wem fragst du, Soledad,
ganz allein so früh am Morgen?
Ganz egal, nach wem ich frage,
wüßte nicht, was dich das schert.
Laß mich suchen, was ich suche:
meine Freude und mich selbst.
Soledad, mein Unglücksstern,
auch das Pferd, das scheut und durchgeht,
stürzt am Ende in die Wellen
und wird bald vom Meer verschluckt.
Hör mir auf vom Meer! Dort unten
wächst das schwarze Elend nicht.
Das gedeiht, wo Blätter rauschen,
das wächst im Olivenland.
Wieviel Elend, Soledad!
Wieviel Elend ist in dir!
Und du weinst Zitronensaft,
bitteres Warten, bitterer Mund.
Schweres Elend! Wie verrückt
lauf ich hin und her im Haus,
von der Küche in die Kammer,
und das Haar schleift mir im Staub.
Elend, Elend! Bald schon bin ich
schwarz wie Pechstein, samt der Wäsche.
Meine schönen Leinenhemden!
Meine Schenkel, schön wie Mohn!
Soledad: von Kopf bis Fuß
bade dich in Lerchenwasser,
aber laß dein armes Herz
in Frieden, Soledad Montoya.

*

In der Tiefe singt der Fluß:
eine Laub- und Himmelsrüsche.
Einen Kranz aus Kürbisblüten
windet sich das neue Licht.
Schwarzes Elend der Zigeuner!
Elend, ungemischt und einsam.
Elend dunkler Wasseradern
und entlegener Morgenröte! 

 - Federico García Lorca, Zigeunerromanzen. Frankfurt am Main 2002 (zuerst 1924-1927)

Romanze (4), brasilianische

Kaiser Pedro hatte eine
Tochter, die ein Bankert war.
Und er liebte sie gar innig;
Deshalb schlug sie aus der Art.
Von Baronen reich und mächtig
Oft um sie geworben ward.
Aber sie wies alle Freier Immer
von sich stolz und hart. -
Der ist kindisch! Der zu alt mir!
Dieser hat noch keinen Bart!
Dieser da, der ist zum Schwingen
Eines Schwertes viel zu zart!

Kaiser Pedro sagte lachend:
Strafe bleibt dir nicht erspart,
Wenn du dich wohl gar in einen
Viehhirten am End' vernarrt!

Auf dem Gutshof ihres Vaters,
Als der Morgen wich dem Tag,
Die Infantin wieder einmal
Sinnend in dem Fenster lag.
Mit der Hacke gingen drei der
Knechte ihrer Arbeit nach.
Und der stattlichste von ihnen
Fleißig seiner Pflicht oblag:
Wolle pflanzte er, dem Vieh teilt' er
Streu und Futter zu -
Trug ein Lederwams am Leibe,
An den Füßen derbe Schuh'.
Nun, zu eben diesem Viehhirt
Die Infantin Liebe packt.
Und der Viehhirt schwingt die Hacke,
Und er weiß wohl, wie er's macht.

Die Prinzessin ruft die Alte,
Der sie ganz vertraut, heran:
- Sieh dir diesen braven Viehhirt,
Der die Hacke schwingt, gut an!
Grafen, Fürsten, edle Ritter -
Ich will keinen andren Mann!
Ruf ihn her zu mir, doch heimlich,
Daß es niemand sehen kann!

Und die Alte läuft zum Hirten,
Trifft beim Graben ihn allein.
Komm nur mit mir, lieber Hirte,
Schau nicht so verlegen drein!
Heb die Augen auf, es scheint der
Morgenstern schon hell herein!   :

Durch das Gartentor getreten
Sind sie, weil das Haus verschlossen;
Bis ins Kämmerlein des Mädchens
Ist der Viehhirt vorgestoßen.

- Herrin, sprecht, was steht zu Diensten?
Wollt Ihr mir den Auftrag nennen? -

- Ich will wissen, ob du Mut hast,
Meinen Urwald abzubrennen. -

- Mut, Mut habe ich zu allem,
Was ein rechter Mann muß kennen.
Bitte sagt mir, edle Frau,
Wo liegt dieser Wald genau? --
Unterhalb der beiden Berge,
In der Nähe meiner Quelle,
Unterhalb der Schiefen Eb'ne,
An der Schneise der Gedehnten,
An der Grotte »Wilder Panther«,
An der Rodung der Ersehnten.

Einen vollen Tag vergnügten
Sie sich und dazu die Nacht:

Und der Viehhirt grub und hackte,
Und er weiß, wie man es macht.

Mitternächtlich bat um Frieden
Die Prinzessin abgespannt:
- 's ist genug, mein lieber Viehhirt!
Hast den Urwald abgebrannt!
Und ich selbst bin schier vergangen
Bei der Stämme Feuerbrand!

So die stolze Kaisertochter
Die verdiente Strafe fand. 

 - (stein)

Romanze (5), brasilianische

Romanze (6)

  - Rolf Dieter Brinkmann, Standphotos. Gedichte 1962 - 1970. Reinbek bei Hamburg 1980 (zuerst 1968)

Liebe Gedicht Volksdichter
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