Romanleser Der zweite Lehrer im Kirchspiel war anders geartet als mein Vater, war schweigsam, las dicke Bücher und hatte im Dorfe den Ruf eines  »gefährlichen Agiteters«. An einem durchsichtigen Winterabend fand man diesen Lehrer mit einem Handtuch am Türpfosten erhängt. Mein Vater las niemals Romane, er verachtete sie mit der ganzen Kraft seiner Seele, das Brett über der Lagerstätte des erhängten Lehrers dagegen war mit Romanen vollgestopft. An diesem Abend erzählte der Vater in der Schmiede wie der Ritter Don Quichote, nachdem er sich an Romanen satt gelesen hatte, viele Verheerungen auf Erden anrichtete, und einer der Bauern fügte aufmunternd hinzu: »Gott sei Dank, unser Volk ist friedfertig; statt zu morden, hängt sich höchstens einer auf.«   - Wsewolod Iwanow, Anhang zu: W. I., Die Rückkehr des Buddha. Nördlingen 1989 (Die Andere bibliothek 49, zuerst ca. 1930)

Romanleser (2)  "Die Schriftsteller von heute wissen noch nicht mal, daß es das Kino gibt! ... und daß durch das Kino ihre Art zu schreiben lächerlich und unnütz geworden ist ...  geschwätzig und inhaltslos!..."

„Wie bitte? Wie?"

„Weil ihre Romane, alle ihre Romane, viel gewinnen würden, alles gewinnen würden, wenn ein Filmer sie bearbeiten würde... ihre Romane sind nur noch Drehbücher, mehr oder weniger kommerziell, die auf einen Filmer warten!... das Kino hat alles für sich, was ihren Romanen fehlt: die Bewegung, die Landschaften, das Pittoreske, die schönen Puppen, nackt, rasiert, die Tarzane, die Epheben, die Löwen, die Zirkusspiele, alles täuschend echt! Bettspiele, daß man sich dem Teufel verschreiben würde! Psychologie!... Verbrechen, wie man sie sich nur wünschen kann! ... Unmengen von Reiseaufnahmen! als sei man selbst dabei! alles, was so ein armer Schlucker von Schriftsteller nur andeuten kann!... wenn er sich mit seinen Strafarbeiten abstrampelt! so daß er sich bei seinen Kunden unbeliebt macht! ... er kommt da einfach nicht ran! auch bei all dem Kitsch, den er von sich gibt! in den er sich verbeißt! er wird tausend!... tausendfach überflügelt!"

„Was bleibt dem Romanautor denn dann noch übrig, Ihrer Meinung nach?"

„Die ganze Masse von geistig Debilen ... die amorphe Masse ... die noch nicht mal die Zeitung liest... die kaum ins Kino geht..."

„Die lesen den ganzen Romankitsch? ..."

„Und wie! ... vor allem, hörn Sie, auf dem Klo! ... da haben sie einen besinnlichen Augenblick!... dem sie sich stellen müssen!..."

„Wieviel Leser werden das wohl sein, diese Masse?"

„Oh! 70 ... 80 Prozent der Durchschnittsbevölkerung."

„Was Sie nicht sagen, eine ganz schöne Kundschaft! ..."

Das stimmt ihn nachdenklich ...

„Schon ... aber sagen Sie, Professor Y! aufgepaßt! die ist vom Radio chloroformiert, diese Kundschaft! überfüttert vom Radio!... debil und verblödet noch dazu!... kommen Sie denen mal mit der 'emotionalen Wiedergabe'! ... die werden Ihnen was erzählen! ... die 'emotionale Wiedergabe', das ist doch Lyrik ... nichts ist weniger lyrisch und emotional als der 'Leser auf dem Klo'! ... der lyrische Autor, und ich bin einer, halst sich die ganze Masse auf, und außerdem die Elite!... die Elite hat keine Zeit, lyrisch zu sein, sie fährt rum, frißt sich nen fetten Arsch an, furzt, rülpst... und weiter geht's! ... die liest auch nur auf dem Klo, die Elite, kapiert nur Kitsch ... "    - Louis-Ferdinand Céline. Gespräche mit Professor Y. Hamburg 1986 (Edition Nautilus. Zuerst 1955)
 

  

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