omananfang   Dr. Bickleigh beschloß, seine Frau zu ermorden. Aber erst einige Wochen später unternahm er die ersten Schritte in dieser Angelegenheit. Mord ist ein ernsthaftes Unternehmen. Der kleinste Fehler kann verhängnisvoll werden. Dr. Bickleigh hatte nicht die Absicht, sich auf verhängnisvolle Dinge einzulassen. - Francis Iles, Vorsätzlich. München o. J. (Goldmann 3059, zuerst 1931)

 Romananfang (2)

 Romananfang (3)  Sonntag, 10. Oktober  1971 / Romananfang:Ramponiert und  mitgenommen und  ziemlich durchgeschüttelt nach 31 Jahren fand  ich mich wieder, und  das war in der Gegenwart, etwas stotternd und stammelnd und noch unbeholfen, aber gesund  und  in  Ordnung  und auf  meinen  eigenen Füßen stehend.AIso  konnte ich mich langsam und ruhig umblicken,wo ich war.Und das war eine zerfallene, klapprige   Idioten-Schau-Bude.Aus den   Körpern  strömte  tierhafte  Traurigkeit und Bilder,die  Jahre   zurücklagen, verschlissene Stellen und dünne,zitternde Ecken  in  einer fremden Stadt.Ich hatte meinen Teil  gelernt und   sagte, "Man muß  sich auf  allen Ebenen jede Sekunde  gegen dieses Sterben wehren.  Und dazu bedarf  es  genau der  Techniken,die  man hand zuhaben versteht.Ich  ließ meinen  inneren Bildschirm leerlaufen.Also  zeige   ich dir hier   in der Gegenwart diese pervertierte Armut, die  bettelt. /Fernes Hotel in Marsaille hieß  Tapis Vert war billig  und   ich konnte   schnell  ans Meer./ Ich  stieg die  große  Treppe am Bahnhof hinunter  und war in einem zerfallenen Viertel voll Nutten  und wieder die  bettelnde  Armut  dort./   - Rolf Dieter Brinkmann, Erkundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand: Reise Zeit Magazin (Tagebuch). Reinbek bei Hamburg 1987

Romananfang (4)  Zeigt sich Fortschritt, so entsteht ein Roman. Ohne Fortschritt entsteht nichts. Alles existiert von Anfang an. Ich habe am Anfang existiert. Ich bin ein sabberndes Kind gewesen. Heute habe ich Gräser ohne Namen gesehen — ich pochte mit dem Knöchel an die Erde. Sie klang hohl. Sie war trocken wie Gummi. Äonenlange Dürre. Kein Regen seit fünfzehn Tagen. Kein Regen. Es hat nie geregnet. Es wird nie regnen. Eher sagen Hitze und Windlosigkeit den ganzen Tag: heißer September. Das Jahr rückte vor. Eine Straße rauf, eine andere runter. Noch ist es September. Eine Straße runter, die andere rauf. Noch immer September. Gestern war der zweiundzwanzigste. Heute ist der ein-undzwanzigste. Unmöglich. Aber nicht, wenn das letztes Jahr war. Dann aber wäre es nicht gestern. In seinen Augen ist ein Jahr nicht wie gestern. Überdies hat es im letzten Jahr am Monatsanfang geregnet. Das macht einen Unterschied. Es hat auf die weiße Goldrute geregnet. Weil das Heute, vergleicht man es mit letztem Jahr, am falschen Platz steht, scheint es besser, weiße zu haben — So sieht Fortschritt aus. Wenn aber ein Roman entstehen soll, muß man irgendwo beginnen.

Wörter sind nicht von Dauer, es sei denn, der Graphit wird weggekratzt und in eine Tube gesteckt, oder die Tinte wird vom Papier gehoben. Wörter senken sich immer tiefer in den Grund. Man muß mit Wörtern anfangen, will man schreiben. Aber was dann mit dem Geruch? Was dann mit den Haarflechten auf den Bäumen oder mit den goldbraunen Kirschen unter den schwarzen Klippen. Was mit den schwachen Versuchen zu lächeln, bei denen die Grübchen etwa sagen: verzeih mir - ich gleite, gleite, gleite in gar nichts. Jetzt bin ich nicht, was ich war, als das Wort sich bildete, um zu sagen, was ich bin. Ich sitze so auf meinem Fahrrad und sehe dich griesgrämig an, habe Grübchen, weil es September ist und weil ich älter bin, als ich es war. Ich habe jetzt gerade nichts zu sagen. Ich werde nie etwas zu tun haben, es sei denn, Fortschritt zeigt sich, es sei denn, du schreibst einen Roman. Nimmst du mich aber in deine Arme - ja, dann wird das Fahrrad fallen, und es wird nicht mehr dasselbe sein wie jetzt, griesgrämig zu lächeln, und ein Grübchen wird so tief - darin könntest du mitfallen und nie nie mehr daran denken, ein Wort zu schreiben, um deinen Kirschen auf Wiedersehn zu sagen, Es ist nämlich September. Beginn mit dem September.

Von einem Wort zum anderen zu kommen, heißt an einer Brustwarze saugen. Stell dir vor, du sagst: Verehrte, ich bin durstig, lassen Sie mich ein wenig Milch saugen - Soviel zu Liebe auf den ersten Blick. Für wen halten Sie mich denn?, fragt die weiße Goldrute. Natürlich ist das der Forlschritt. Natürlich gibt es Wörter. Aber ich bin durstig, könnte man hinzufügen. Ja doch, aber ich liebe Sie, und überdies hab ich keine Milch. Ach ja, richtig, ich habe vergessen, daß wir gerade von Wörtern sprachen. Aber du kannst nicht leugnen, daß man, um einen Roman zu kriegen, Milch kriegen muß. Nicht am Anfang. Zugegeben, aber dann doch wenigstens am Schluß. Ja, ja, am Schluß. Ein Fortschritt von der bloßen Form zur Substanz. Ja, ja, in anderen Worten: Milch. Milch ist die Antwort.

Wie aber kriegt man Milch von weißer Goldrute? Das haben die Indianer aber doch gesagt. Der Schoß der Erde stoßt eine junge Frau aus, die das Gleichgewicht, das Gleichgewicht auf einem Rad hält. Rasch legt sie die ersten — die zweiten acht Jahre zurück. Fortschritt, wie du notierst. Letztes Jahr aber war der September regnerisch, und wie kann er je wieder trocken sein, wenn man nicht ins Jahr davor zurückgeht. Es gibt keine Wörter. Nur so, wie es diesem Bau entspricht, weicht der Schoß der Erde zurück; Phosphate. Doch um einen Roman zu kriegen - Ach, stell ein Dutzend scharfe Namen zusammen und find einen Grund für einen Mord, das reicht. - William Carlos Williams, Der große amerikanische Roman. Nach (wcw)

Romananfang (5)  Der Roman beginnt auf einem Bahnhof, eine Lokomotive faucht, Kolbendampf zischt über den Anfang des Kapitels, Rauch verhüllt einen Teil des ersten Absatzes. In den Bahnhofsgeruch mischt sich ein Dunstschwaden aus dem Bahnhofscafe. Jemand schaut durch die beschlagenen Scheiben, öffnet die Glastür des Cafes, alles ist diesig, auch drinnen, wie mit kurzsichtigen oder von Kohlenstäubchen gereizten Augen gesehen. Die Buchseiten sind beschlagen wie die Fenster eines alten Zuges, der Rauch legt sich auf die Sätze. Es ist ein regnerischer Abend; der Mann betritt das Café, knöpft sich den feuchten Mantel auf, eine Wolke von Dampf umhüllt ihn, ein Pfiff ertönt über die Gleise, die vom Regen glänzen, so weit das Auge reicht.

Ein Pfiff wie von einer Lokomotive und ein Dampfstrahl lösen sich aus der Kaffeemaschine, die der alte Wirt unter Druck setzt, als gebe er ein Signal. So scheint es zumindest im Fortgang der Sätze des zweiten Absatzes, worin die Spieler an den Tischen ihre aufgefächerten Karten vor der Brust zusammenschieben und sich mit dreifacher Drehung - des Halses, der Schultern, des Stuhls - dem Neuankömmling zuwenden, während die Gäste am Tresen ihre Täßchen heben und auf die Kaffeeoberfläche blasen, Lippen und Augen halb geschlossen, oder mit übertriebener Vorsicht, um nichts zu verschütten, die Schaumkrone von ihren Biergläsern schlürfen. Die Katze buckelt, die Kassiererin schiebt ihre Registrierkasse zu, es macht pling.  - Italo Calvino, Wenn ein Reisender in einer Winternacht. München 2007 (Zuerst 1979)

Romananfang (6)  «Alle glücklichen Familien unterscheiden sich mehr oder weniger; alle unglücklichen ähneln sich mehr oder weniger», sagt ein großer russischer Dichter am Anfang eines berühmten Romans (Anna Arkadievitcb Karenina, ins Englische transfiguriert von R. G. Stonelower, Mount Tabor, Ltd., 1880). Jener Ausspruch hat wenig, wenn überhaupt, etwas zu tun mit der Geschichte, die hier ausgebreitet werden soll, eine Familienchronik, deren erster Teil eher einem anderen Werk Tolstojs, Detstvo i Qtrotschestvo (Cbildhood and Fatherland, Pontius Press, 1858), nahesteht.  - (ada)

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