ippenstoß  Die weitaus meisten Menschen sind zu derartigen emotionalen Erlebnissen fähig, sowohl großen wie kleinen. Der Schriftsteller ergreift auch das kleinste und macht etwas daraus, wenn er kann. Man könnte solche Erlebnisse als emotionale Rippenstöße der einen oder anderen Art bezeichnen, und sie sind weiß Gott nicht immer angenehm. Man hat sie von der Wiege bis zum Grab. Manche Menschen bauen sich ein Schneckenhaus, um sich vor derartigen Stößen zu schützen. Bei manchen kann man von Dekorum oder Schulung sprechen, oft verbunden mit der Fähigkeit, einer Beleidigung zuvorzukommen oder mitleidlos selber eine anzubringen; mit der Fähigkeit, ein Gefühl — wenn es sich nicht um ein echtes Gefühl handelt — zu verbergen, zu vernichten und zu vergessen. Mit einiger Übung können diese Menschen fast immun werden gegenüber jeglicher Emotion.

Natürlich kann man Emotionen fühlen, ohne sie zu zeigen, und vom kreativen Standpunkt aus verlieren sie vielleicht sogar ein wenig durch das Zeigen. Doch bei den Verbergern wird oft automatisch ein moralisches Urteil gefällt, und der Stoß geht sozusagen an ihnen vorbei. Kreative Menschen fällen keine moralischen Urteile — jedenfalls nicht sofort — über das, was sie auf den ersten Blick sehen. Dafür ist, wenn sie dazu neigen, später noch Zeit bei dem, was sie schaffen, denn Kunst an sich hat ja nichts mit Moral, Konvention oder Moralpredigen zu tun.

Eine weitere Art, sich zu schützen, ist die kennerische Blindheit oder Gleichgültigkeit, wie man sie etwa in Menschen findet, die auf Bauernhöfen oder in armen Gemeinden arbeiten, wo der Tod zum Alltag gehört. Ganz sicher macht es das Leben leichter, wenn man sich mit einem Tier, das man in sechs Monaten töten muß, in Gedanken nicht viel beschäftigt oder es liebgewinnt, und wenn man nicht weiter nachdenkt über den Schmerz von Hunger und Kälte und Tod, wenn einem das alles jede Stunde vor Augen steht.

Empfänglichkeit und Bewußtheit

Die meisten Menschen sind von diesen beiden Extremen des Selbstschutzes weit entfernt. Künstler aus Familien, die zu einer der beiden Arten gehören, brechen manchmal daraus aus. Robert Burns blieb immer Farmer, aber er war ein Farmer, den es, als er mit seinem Pflug ein Mäuseloch zerstörte, so tief erregte, daß er ein Gedicht darüber schrieb. Schriftsteller und Maler haben von Natur aus nur eine sehr dünne Schutzschicht und sind ihr Leben lang bemüht, auch das Wenige noch loszuwerden, denn Rippenstöße und Eindrücke sind das Rohmaterial, das sie für ihre Arbeit brauchen. Diese Empfänglichkeit, diese Bewußtheit des Lebens ist das Ideal für einen Künstler und ist ihm wichtiger als alle seine Aktivitäten und Einstellungen. Das ist der Grund, warum Schaffende soziologisch als klassenlos gelten. Da sie sich ähnlich sind und in diesem fundamentalen Bereich einander verstehen, sind sie meistens gesellig, egal aus welchem Milieu sie stammen. - Patricia Highsmith, Suspense oder Wie man einen Thriller schreibt. Zürich 1990 (zuerst 1966)

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