ingelnatter   »Ich bin überzeugt davon, daß der Stein herrlich ist, aber ich will ihn mir erst nach dir ansehen. Es gebührt sich, daß zunächst eine Jungfrau die Kälte und das Feuer eines Diamanten beurteilt.« Mit einer Bewegung, aus der Stolz sprach, hob das junge Mädchen den Kopf. Sie hatte große, düstere, grau und grün gesprenkelte Augen und ein ovales, bräunliches und sehr glattes Gesicht; sie hatte schwarzes, zu zwei Zöpfen geflochtenes Haar; sie lagen dort, wo die kleinen Brüste waren, auf einem Kleid aus absonderlich gemustertem Stoff: auf dem Rücken schwimmende Fische spielten zwischen Wasserblumen; ihr Hals und ihre Hände waren lang (und wirkten um so länger, da sie keinerlei Schmuck trug), ihre Beine waren sogar sehr lang. Monsieur Mose schaute sie an.

»Du siehst aus wie eine Ringelnatter in der Sonne«, sagte er. »Die meisten Frauen werden durch funkelnde Steine gebannt wie Mäuse durch Schlangenaugen. Andere bleiben davon unberührt, aber in denen ist lediglich Gleichgültigkeit. Du hingegen, und das beruht vielleicht auf deiner wunderlich schlangenhaften Natur, bist sogleich im Einvernehmen mit den Steinen. Du verstehst dich darauf, sie richtig zu sehen, zu werten und zu wiegen, du sprichst mit ihnen, du streichelst sie; man könnte meinen, du dringest in sie ein, denn du hast mich auf Fehler hingewiesen, die den abgefeimtesten Antwerpener Händlern entgangen waren. Du tätest gut daran, nicht zu heiraten, wenn du dir die Freundschaft der wahrhaft noblen Steine, des Diamanten und des Smaragds, erhalten willst..«  - André Pieyre de Mandiargues, Der Diamant. In: A.P.M., Schwelende Glut. Frankfurt am Main 1995 (st 2466, Phantastische Bibliothek 323, zuerst 1959)

Ringelnatter (2) Einer der Fuhrknechte, die weiter vorn gingen, lief aus der Reihe, sprang zur Seite und begann mit der Peitsche auf die Erde zu schlagen. Dies war ein ansehnlicher breitschultriger Bauer von etwa dreißig Jahren, hellbraun, lockig und allem Anschein nach sehr stark und gesund. Nach den Bewegungen seiner Schulter zu schließen und den Peitschenhieben, ja nach, der Gier, die in seiner Haltung lag, schlug er auf etwas Lebendiges ein. Ein zweiter Fuhrknecht, klein, stämmig und mit schwarzem und breitem Bart, lief heran. Dieser trug eine Weste und ein über die Hosen hängendes Hemd. Er brach in ein tiefes bellendes  Lachen  aus und schrie: »Brüderlein, Dymow hat eine Schlange totgeschlagen! Bei Gott!«

Es gibt Menschen, über deren Verstand man sich ziemlich gut nach ihrer Stimme und ihrem Lachen schlüssig werden kann. Der Schwarzbärtige durfte offenbar zu der Schar dieser Glückspilze gezahlt werden: in seiner Stimme und in seinem Lachen war etwas wie undurchdringliche Dummheit zu verspüren. Nachdem der hellbraune Dymow mit dem Dreinschlagen aufgehört, hob er mit der Peitsche etwas von der Erde auf und schleuderte es lachend zu den Fuhren hin - es glich einem Strick.

»Das ist keine Schlange, ist eine Ringelnatter!« schrie jemand.

Der hölzern schreitende Mann mit dem verbundenen Gesicht ging schnell zu der getöteten Schlange hin, blickte sie an, und hob darauf seine stockähnlichen Arme zum Himmel.  »Du Zuchthäusler!« schrie er mit dumpfer, weinerlicher  Stimme. »Warum hast denn das Natterchen umgebracht? Was tat sie dir getan, du Verwünschter? Schau mir einer an, hat das Natterchen umgebracht! Und wenn, man dich selber so... «

 »Eine Ringelnatter darf man nicht töten, das stimmt ...«, brummelte Pantelej seelenruhig. »Darf man nicht... Ist doch keine Schlange. Sieht nur wie eine Schlange aus, ist aber ein stilles und unschuldiges Geschöpf... Liebt den Menschen ... Die Ringelnatter...«   - Anton Tschechow, Die Steppe. Nach (tsch)

 

Natter

 

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