iese, heruntergekommener Roland kommt nach Wien und sieht eine Schaubude, vor der ein Ausschreier Reklame macht und alle zu einem Schauspiel einlädt. Roland kauft, neugierig geworden, eine Eintrittskarte und geht hinein. Das Schauspiel war der Riese Morgante, vorgeführt als ein Phänomen. Er war nicht gestorben, weil ihn ein Krebslein gezwickt hatte, wie Pulci erzählt. Das war eine mitleidige Lüge gewesen, um nicht zu sagen, dass es mit Morgante ein schlimmes, ein sehr schlimmes Ende genommen hatte. Nach allen seinen berühmten Unternehmungen hatte ihn Karl der Große auf Rente gestellt und überwies ihm fünf Dukaten im Monat, was gleichbedeutend ist mit dem Hungertod. Aus Ärger darüber wäre Morgante beinahe wieder zum Islam übergetreten und zum wilden Leben zurückgekehrt; aber dann war er Portier eines Wohnblocks geworden, um ein bisschen dazuzuverdienen. Aber offenbar passte er für diesen Beruf nicht; er aß zu viel und war zu sperrig, also wurde ihm gekündigt. Obdachlos, ohne Ersparnisse und arbeitslos war er zu Haut und Knochen zusammengeschrumpft und es war so weit gekommen, dass er Heu aß - bis ihn ein Impresario sah und ihn als Schaustück in einer Schaubude anstellte.
Und hier zeigt Morgante dem Roland den elenden, schmutzigen, harten und stinkenden Strohsack, auf dem er schlief.
Roland umarmt ihn: Du Armer, die haben dich verkommen lassen, wie man's nicht mal mit einem Nashorn machen würde!
Morgante weint, und bei jedem Tränenausbruch weint er eine Schüssel voll, die überläuft, weil er nur eine einzige hat.
Wäre es früher gewesen, so hätte Roland sein Schwert gezogen; aber jetzt
muss er Anzeige erstatten und den Impresario vor Gericht zitieren, um den Vertrag
aufzulösen, der aber regulär ist, vor einem Notar unterschrieben. Morgante wird
als bewegliches Gut beschlagnahmt und so weiter: Rechtsanwälte, Streitgespräche,
Strafgesetzbuch; zum Schluss zahlen sie hundert Zechinen, was ein schönes Kapital
ist, um Morgante freizukaufen. Dann nimmt ihn Roland mit, und sie bewegen sich
in Richtung Paris, während beide sagen, es gibt keine Hoffnung mehr, es ist
das Ende von allem, die Welt hat sich geändert, da kann man nichts machen (Roland
reitet, Morgante folgt ihm naseputzend zu Fuß). - Ermanno Cavazzoni, Das kleine Buch der Riesen. Berlin
2010
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