Rhinologe    Gemessen an den Standards jener überschäumenden Zeit ewiger Jugend war Graf Drogula - oder Mucho der Großzügige, wie man ihn auch nannte- ein verantwortungsbewußter, ja sogar eher nüchterner Konsument psychedelischer Drogen. Bei Kokain war das allerdings anders. Es traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel - eine unvermutete Leidenschaft, die er in seiner späteren Verzweiflung mit einer heimlichen Affäre mit einer Frau verglich: verstohlene Rendezvous zwischen seiner Nase und den illegalen Kristallen, plötzliche ekstatische Höhenflüge, überraschend negativer Cash-flow, erstaunliche Begebenheiten sexueller Natur. Gerade als er am Scheideweg zwischen wilder Schwärmerei und dauerhafter Bindung angelangt war, ließ seine Nase ihn im Stich: Blut, Rotz, etwas eindeutig Grünes - ein nasaler Zusammenbruch. Er begab sich nicht in eine Rehabilitationsklinik - die waren damals noch nicht so allgegenwärtig wie in den späteren Zeiten nationaler Drogenhysterie -, sondern suchte Hilfe bei Dr. Hugo Splanchnick, einem engagierten und moralisierenden Rhinologen, der seine Praxis in einer staubfreien Suite in einem Penthouse in Sherman Oaks hatte. «Würden Sie mir einen kleinen Gefallen tun? Ich muß Ihnen etwas Blut abnehmen...»

«Ha?»

«Gerade so viel, daß Sie diese Feder hier nehmen und Ihren Namen unter diesen kleinen Vertrag setzen können...»

«Was? Kein Koks für den Rest meines Lebens? Und wenn ich doch... ?»

«In diesem Fall würden die Zuwiderhandlungsklauseln greifen, die die üblichen Strafmaßnahmen vorsehen: Geldstrafen, Gefängnis, Tod.»

«Tod? Was? Für ein bißchen Koks?»

«Wo wäre der Unterschied? Sie sind ja ohnehin dabei, sich umzubringen.»

Ein schmerzhaftes Pulsieren durchzuckte Muchos Nase. «Bekomme ich wenigstens Novocain?» Er sprach es «Dovocaid» aus.

«Sobald Sie unterschrieben haben.»

«Doc! Das ist ja schlimmer als ein Künstlertransfervertrag!»

Ein verärgerter Seufzer. «Wenn das so ist» - er stieß eine Tür auf, die in die Tiefen der Suite führte - «müssen wir wohl leider zu Phase zwei kommen, dem <Raum der Schaustücko.» Fahles, rosiges Licht aus billig erworbenen Fleischtheken eines bankrott gegangenen Supermarkts leuchtete auf.

Das sah nicht sehr verheißungsvoll aus. «Ah, vielleicht sollte ich doch unterschreiben, abed dadd gebn Die mir dad Dovocaid, ja?»

«Neinnein, dafür ist es leider schon zu spät. Sie haben ja schon einen Blick auf das Schaustück Nummer eins geworfen, den» - er tat, als läse er die Aufschrift auf dem Etikett - «<Schnitt durch das Gehirn eines Jazzmusikers›». Na? Man kann sehr schön die Struktur dieses höchst interessanten Abszesses erkennen - na, kommen Sie schon, ich verspreche Ihnen» - er schmunzelte -, «Sie brauchen es nicht zu essen.»

Für die drogenbenebelten Windungen von Muchos Hirn war es gar nicht so unwahrscheinlich, daß irgendeine Lebensform diese in Spiritus eingelegten Schaustücke nicht nur eßbar, sondern auch appetitlich finden würde, und so nahm er Abstand davon, sich von der Heiterkeit des Nasendoktors anstecken zu lassen.

«Sehr schön, sehr schön - und jetzt diese nekrotische Nebenhöhle ...» Und so ging es weiter. Mucho stolperte mit oszillierenden Augen und pochender Nase voran, bekam das Wachsmodell-Kabinett, das Filmmaterial aus der Notaufnahme und die Muster aus dem Kühlschrank vorgeführt, bis ihn endlich Schmerz, Erschöpfung und die ersten Anzeichen einer neuen Kopfgrippe dazu trieben, den zweifelhaften Vertrag des Arztes mit seinem Blut zu unterschreiben.  - Thomas Pynchon, Vineland. Reinbek bei Hamburg 2015

Nasenwissenschaft Arzt

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