Rhetorik, (alt)chinesische   In einem umfangreichen, kunstvoll geschnitzten schwarzen Sessel, hinter einem eingelegten schwarzen Tisch, saß ein alter Chinese. Sein Gesicht war rund und fett und schlau, mit einem unregelmäßigen Tuff weißer Barthaare am Kinn. Auf dem Kopf hatte er eine dunkle, fest anliegende Kappe; ein purpurrotes Gewand, das den Hals eng umschloß, zeigte am Saum, wo es über den blauen Satinhosen zurückgeschlagen war, sein Futter aus Zobel.
Er stand nicht auf, sondern lächelte bloß wohlwollend über seinem Bärtchen und beugte den Kopf fast bis zu dem Teegeschirr auf dem Tisch hinunter.

»Nur das Unvermögen zu glauben, daß jemand von der himmlischen Erhabenheit Eurer Exzellenz seine kostbare Zeit an einen so unwürdigen Tölpel verschwenden würde, hat den geringsten Ihrer Sklaven daran gehindert, hinunterzueilen und sich vor Ihre edlen Füße in den Staub zu werfen, als er hörte, daß der Vater der Detektive vor seiner armseligen Schwelle stünde.«
Dieser blühende Schwulst kam in einem flüssigen Englisch heraus, das wesentlich eleganter war als mein eigenes. Ich verzog keine Miene und wartete ab.
»Falls der Schrecken der Missetäter einem meiner minderwertigen Stühle die Ehre antun möchte, seinen göttlichen Leib zu tragen, kann ich ihm versichern, daß der Stuhl danach verbrannt wird, damit kein geringerer ihn je benütze. Oder wird der Fürst der Diebsfänger mir erlauben, einen Diener in seinen Palast zu schicken, um einen seiner würdigen Stuhl zu holen?«
Ich ging langsam zu einem Stuhl, wobei ich mir in Gedanken eine Antwort zurechtlegte. Der alte Spaßvogel verkohlte mich mit einer Übertriebenen Imitation der wohlbekannten chinesischen Höflichkeitsfloskeln. Ich bin ein verträglicher Menschj bis zu einem gewissen Punkt mache ich jeden Spaß mit.
»Die Ehrfurcht vor dem mächtigen Chang Li Ching ist mir in die Glieder gefahren«, erklärte ich salbungsvoll, »sonst würde ich es nicht wagen, mich zu setzen.« Ich pflanzte mich auf einen Stuhl und wandte den Kopf, wobei ich feststellte, daß die zwei Riesen neben der Tür verschwunden waren.
Mir schwante, daß sie sich nicht weit entfernt hatten. Vermutlich standen sie hinter dem Vorhang, der die Tür verhüllte,

»Wüßte ich nicht, daß der König der Spürhunde alles weiß« — er ließ nicht locker —, »würde ich mich wundern, daß er meinen bescheidenen Namen gehört hat.«
»Wer hatte ihn nicht gehört?« konterte ich. »Leitet sich das englische Wort dränge — verändern — nicht von Chang her? Es bedeutet, daß der klügste Mann seine Meinung ändert, sobald er von Chang Li Chings Weisheit gekostet hat.«
Ich versuchte von dem theatralischen Bombast, der meinen Grips auf die Dauer zu sehr anstrengte, wegzukommen. »Schönen Dank, daß mir Ihr Mann vorhin im Korridor das Leben gerettet hat.«
Er spreizte die Finger auf dem Tisch.

»Nur weil ich befürchtete, der große Nachfahre Sherlock Holmes' würde den Geruch solch gemeinen Blutes widerwärtig finden, wurde der Bösewicht, der Euer Exzellenz beunruhigte, rasch niedergemacht. Falls ich irrte und Euer Exzellenz ihn lieber gevierteilt gesehen hätte, kann ich statt dessen bloß einen meiner Söhne zur Folterung anbieten.«

»Lassen Sie den Jungen leben«, sagte ich lässig und kam zur Sache. »Ich hätte Sie nicht belästigt, wenn ich nicht so unwissend wäre, daß ich bei der Quelle der Weisheit Hilfe suchen muß.«

»Fragt man einen Blinden nach dem Weg?« Der alte Schwindler legte den Kopf schief. »Kann ein Stern, auch wenn er guten Willens ist, dem Mond helfen? Wenn es dem Großvater aller Detektive beliebt, in seiner Großmut Chang einzureden, der Zwerg könne den Riesen ein wenig erleuchten, wer ist Chang, daß er sich seinem Meister widersetzt, indem er sich weigert, sich lächerlich zu machen?«  - Dashiell Hammett, Rote Tür in Chinatown. Berlin Frankfurt a. M. 1969

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