Revolver, unzuverlässiger   Er trat zu hastig ein. Doch der Raum lag ganz still, das Bett stand, undeutlich umrissen, in der dunklen Ecke, nur am Kopfende war ein hellerer Streifen zu sehen. Er schloß die Tür - der Wind kann die Tür zuschlagen! -, blieb stehen und blickte auf die Ecke. Der Revolver lag in seiner Hand und zielte auf das Bett. Er spähte hinein und sah nichts.

Über die rechte Schulter warf er einen Blick zum Fenster. Es war einen Fußbreit offen, und Bruno hatte doch gesagt, es wäre ganz geöffnet. Das war wohl wegen des Nieselregens. Stirnrunzelnd blickte er wieder auf das Bett, und mit Entsetzen erkannte er jetzt den nahe der Wand liegenden Kopf; er lag schräg seitwärts, als blicke er ihm mit heiterer Verachtung in die Augen. Das Gesicht war dunkler als das Haar, das sich kaum vom Kissen abhob. Der Revolver zielte genau auf den Kopf, wie er da lag.

Man muß in die Brust schießen. Gehorsam senkte sich der Lauf und zielte jetzt auf die Brust. Guy schob sich näher ans Bett und warf noch einen Blick auf das Fenster hinter sich. Kein Atemzug war zu hören; man hatte denken können, der Mann sei nicht mehr am Leben. Das war es, was er sich vorher immer gesagt hatte: er mußte denken, die Gestalt da vorn sei nur ein Schußziel. Und weil er das Ziel nicht kannte, war es genau wie das Töten im Krieg. Jetzt...?

«Hahaha!» kam es vom Fenster.

Guy zitterte, und der Revolver zitterte ebenfalls.

Das Lachen war aus der Ferne gekommen, ein Mädchenlachen, weit weg, aber deutlich und klar wie ein Schuß. Guy fuhr sich über die Lippen. Das lebendige Lachen da draußen hatte einen Augenblick die Szene hier drinnen leergefegt und nichts zurückgelassen, und in dem Vakuum stand er mit dem Revolver in der Hand und wollte töten. Für die Dauer eines Herzschlags war die Wirklichkeit zurückgekehrt, das Leben: ein junges Mädchen, das unten auf der Straße entlangging, vielleicht mit einem jungen Mann, und der Mann hier im Bett, der ebenfalls lebte. Nein, nicht nachdenken! Du tust es doch für Anne, vergiß das nicht! Für Anne und für dich selbst! Es ist wie im Krieg - wie ...

Er drückte ab. Klick, machte der Abzug. Er drückte noch einmal ab, und wieder klickte es. Es ging nicht! Alles war falsch. Nichts stimmte. Das war gar nicht er, der hier im Zimmer stand... Noch einmal drückte er ab.

Der krachende Schuß zerriß die Stille. Seine Finger zogen sich vor Schreck zusammen. Noch einmal krachte es, als wolle die Erde bersten.

«Krchch...» sagte die Gestalt im Bett. Das graue Gesicht schob sich nach oben, man sah den Umriß von Kopf und Schultern.

 Guy lag auf dem Verandadach und fiel.  - Patricia Highsmith, Alibi für zwei. Reinbek bei Hamburg 1969 (zuerst 1950)

Revolver Unzuverlässigkeit

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