«So ist es», bestätigte Radek mit einem dankbaren Stoßseufzer.
«Viele kommen von auswärts her und sehen sich die deutsche Revolution an. Diese Disziplin. Ich habe mit eigenen Augen beobachtet, wie am Pariser Platz einer mit einer roten Armbinde einen Mann anschrie, weil er sein Butterbrotpapier wegwarf. Großartig ».
«So ist es», bestätigte Radek, als Russe verfugte er nicht über viele deutsche Worte.
Motz: «Sie parieren auch. Aber natürlich muß einer da sein, dem sie parieren können. Und das haben sie sich bei dieser ganzen Revolution nicht überlegt. Wenn sie die Leute verjagen, denen sie gehorchen können, wie wollen sie mit aller Disziplin Revolution machen?»
Radek tat ahnungslos: «Herr, haben Sie nicht die Bewaffneten gesehen? Und die vielen Wagen mit Matrosen und Maschinengewehren?»
Motz: «Natürlich Was fällt Ihnen dabei auf? Nichts? Mir fällt etwas auf:
Daß man sie nämlich immerzu sieht. Es sind immer dieselben Wagen. Sie
fahren immerzu hin und her, bis sie kein Benzin mehr haben. Wie soll's auch
anders sein? Sie wissen nicht, wo sie hinfahren sollen. Jeder, der gedient hat,
wird Ihnen bestätigen: Disziplin allein genügt nicht. Man muß auch Offiziere
haben. Und die hat man verjagt. Da haben Sie ein Bild von der deutschen Revolution:
Leute, die nicht fahren können, setzen sich in ein Automobil, schmeißen aber
den Chauffeur raus.» - Alfred Döblin, November 1918. Eine deutsche Revolution. Bd.4.
München 1978
(dtv 1389, zuerst 1939 ff.)
Richard Huelsenbeck,
Reise bis ans Ende der Freiheit. Autobiographische Fragmente. Heidelberg 1984
Revolution, deutsche (3) Ich gelangte in ein weiträumiges Schlafzimmer. Die großen Matrosen standen in Linie angetreten an seinen Wänden. Ihre Karabiner berührten den Boden, ihre Gesichter blickten in starrer Aufmerksamkeit hoch. Liebknechts scharfe Stimme schrie fremdartige Sätze in einem von des Kaisers Schlafzimmern. Ich erkannte einige wieder - "die Freiheit für das Proletariat ist angebrochen - die Arbeiter sind die neue Dynastie - "
Niemand rührte sich nach der Rede oder ließ einen Ton vernehmen. Liebknecht begann sich auszuziehen. In seinen schwarzen Augen lag ein wütender, lyrischer Blick. Liebknecht, der kleine Arbeiter mit einem guten Mundwerk, zog sich im Schlafzimmer eines Hohenzollern Kaisers aus - und war im Begriff, sich in das Bett eines Kaisers zu legen!
Nach wenigen Minuten stand Liebknecht barfuß in langer Winterunterwäsche. Einige der Knöpfe waren ab, und das Gesäßteil war vom zuvielen Waschen ausge-beult. Er hob seine prallvolle Aktentasche und vier umfangreiche Bücher auf. Mit diesen Sachen unter seinen Armen näherte er sich dem kaiserlichen Bett. Jemand schaltete die Deckenbeleuchtung aus. Eine Lampe auf dem spindel-beinigen Nachttisch blieb brennen. Der weiße Schnee fiel wie ein Gesicht in alle Fenster.
Die Matrosen waren erstarrt. Sie standen da und beobachteten, wie sich der kleine Mann in der häuslichen Bekleidung langer Unterwäsche dem königlichen Bett näherte, und ich spürte, daß ein sonderbarer Kampf stattfand - einer, über den ich niemals in den Geschichten von Revolutionen gelesen hatte. Schattenhafte Wesen lieferten den hundert bänderbemützten Matrosen, die an der Wand standen, den Kampf. Ich konnte den Feind fast sehen - eine lange Reihe Könige vom bärtigen Barbarossa zum krüppelarmigen Erderschütterer Wilhelm; Steinadler und Hofbälle und die Banner geisterhafter Gardisten. Nicht nur die Mauern und die Möbel hauchten diesen Phantomen Leben ein, sondern sie traten weit lebendiger aus den starren Gesichtern des revolutionären Stoßtrupps - den Meuterern der königlich deutschen Flotte.
Liebknecht, der Volksführer, plazierte seine prallvolle Aktentasche und vier Nachschlagewerke auf den kleinen Nachttisch und kroch zwischen die kalten königlichen Laken.
Im Raum lastete das Schweigen. Ich hörte die königlichen Sprungfedern quietschen,
als Liebknecht seine Beine ausstreckte. Dann, als er sich umdrehte, um ein Buch
zu nehmen, gab es plötzlich einen durchdringenden Lärm. Der spindelbeinige Nachttisch,
eine Antiquität, war unter dem ungewohnten Gewicht revolutionärer Literatur
zusammengebrochen. Die Lampe schlug auf den Boden, und eine der Birnen explodierte.
Und die Soldaten der Revolution flohen. Bis auf den letzten Mann flitzten die
hundert Matrosen halb in Panik aus dem Schlafzimmer. - Ben Hecht, Ein
Kind des Jahrhunderts. [Auswahl] Siegen 1985
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