evolution, deutsche    «Es muß auf Sie merkwürdig wirken, Sie denken natürlich an Ihre Revolution. Glücklicherweise geht Sie diese nichts an.»

«So ist es», bestätigte Radek mit einem dankbaren Stoßseufzer.

«Viele kommen von auswärts her und sehen sich die deutsche Revolution an. Diese Disziplin. Ich habe mit eigenen Augen beobachtet, wie am Pariser Platz einer mit einer roten Armbinde einen Mann anschrie, weil er sein Butterbrotpapier wegwarf. Großartig ».

 «So ist es», bestätigte Radek, als Russe verfugte er nicht über viele deutsche Worte.

Motz:  «Sie parieren auch. Aber natürlich muß einer da sein, dem sie parieren können. Und das haben sie sich bei dieser ganzen Revolution nicht überlegt. Wenn sie die Leute verjagen, denen sie gehorchen können, wie wollen sie mit aller Disziplin Revolution machen?»

Radek tat ahnungslos:  «Herr, haben Sie nicht die Bewaffneten gesehen? Und die vielen Wagen mit Matrosen und Maschinengewehren?»

Motz: «Natürlich Was fällt Ihnen dabei auf? Nichts? Mir fällt etwas auf:  Daß man sie nämlich immerzu sieht. Es sind immer dieselben Wagen. Sie fahren immerzu hin und her, bis sie kein Benzin mehr haben. Wie soll's auch anders sein? Sie wissen nicht, wo sie hinfahren sollen. Jeder, der gedient hat, wird Ihnen bestätigen: Disziplin allein genügt nicht. Man muß auch Offiziere haben. Und die hat man verjagt. Da haben Sie ein Bild von der deutschen Revolution: Leute, die nicht fahren können, setzen sich in ein Automobil, schmeißen aber den Chauffeur raus.» - Alfred Döblin, November 1918. Eine deutsche Revolution. Bd.4. München 1978 (dtv 1389, zuerst 1939 ff.)

Revolution, deutsche  (2)  War Deutschland zu müde, zu enttäuscht und vielleicht zu zynisch, um eine richtige Revolution zu machen? Was ging hier vor? War nicht in jeder Revolution so etwas wie ein idealistischer Überschwang gewesen? Hatte die große französische Revolution nicht die Göttin der Vernunft gekrönt und waren in der russischen Revolution nicht Dinge geschehen, die ans Phantastische grenzten? Die Abschaffung des Geldes ebenso vielleicht wie die Abschaffung der Religion war eine Unmöglichkeit, aber sicherlich bewies es die Radikalität der Revolutionäre, mit einer alten Welt aufzuräumen und eine neue zu bauen. Gerade in dem Verlangen nach dem Unmöglichen zeigte sich die Stärke dieser Bewegungen. In dieser deutschen Revolution, die von einer Gruppe von Romantikern und engstirnigen Kleinbürgern geführt wurde, die zu wenig Bildung hatten, um die Geschichte zu kennen und zu wenig Großmut und Abenteuererlust, um entscheidende Dinge zu tun, geschah nichts. Das entscheidende Zeichen dieser deutschen Revolution war das Dilettantische ihres Gebarens. Diese Revolutionäre wollten keine Änderung der Welt und keine Änderung Deutschlands. Es war für die Sozialdemokraten ein schreckliches Gefühl, daß mit der Besitzergreifung der Macht die Übernahme von Verantwortung verbunden ist. - Richard Huelsenbeck, Reise bis ans Ende der Freiheit. Autobiographische Fragmente. Heidelberg 1984

Revolution, deutsche  (3)  Ich gelangte in ein weiträumiges Schlafzimmer. Die großen Matrosen standen in Linie angetreten an seinen Wänden. Ihre Karabiner berührten den Boden, ihre Gesichter blickten in starrer Aufmerksamkeit hoch. Liebknechts scharfe Stimme schrie fremdartige Sätze in einem von des Kaisers Schlafzimmern. Ich erkannte einige wieder - "die Freiheit für das Proletariat ist angebrochen - die Arbeiter sind die neue Dynastie - "

Niemand rührte sich nach der Rede oder ließ einen Ton vernehmen. Liebknecht begann sich auszuziehen. In seinen schwarzen Augen lag ein wütender, lyrischer Blick. Liebknecht, der kleine Arbeiter mit einem guten Mundwerk, zog sich im Schlafzimmer eines Hohenzollern Kaisers aus - und war im Begriff, sich in das Bett eines Kaisers zu legen!

Nach wenigen Minuten stand Liebknecht barfuß in langer Winterunterwäsche. Einige der Knöpfe waren ab, und das Gesäßteil war vom zuvielen Waschen ausge-beult. Er hob seine prallvolle Aktentasche und vier umfangreiche Bücher auf. Mit diesen Sachen unter seinen Armen näherte er sich dem kaiserlichen Bett. Jemand schaltete die Deckenbeleuchtung aus. Eine Lampe auf dem spindel-beinigen Nachttisch blieb brennen. Der weiße Schnee fiel wie ein Gesicht in alle Fenster.

Die Matrosen waren erstarrt. Sie standen da und beobachteten, wie sich der kleine Mann in der häuslichen Bekleidung langer Unterwäsche dem königlichen Bett näherte, und ich spürte, daß ein sonderbarer Kampf stattfand - einer, über den ich niemals in den Geschichten von Revolutionen gelesen hatte. Schattenhafte Wesen lieferten den hundert bänderbemützten Matrosen, die an der Wand standen, den Kampf. Ich konnte den Feind fast sehen - eine lange Reihe Könige vom bärtigen Barbarossa zum krüppelarmigen Erderschütterer Wilhelm; Steinadler und Hofbälle und die Banner geisterhafter Gardisten. Nicht nur die Mauern und die Möbel hauchten diesen Phantomen Leben ein, sondern sie traten weit lebendiger aus den starren Gesichtern des revolutionären Stoßtrupps - den Meuterern der königlich deutschen Flotte.

Liebknecht, der Volksführer, plazierte seine prallvolle Aktentasche und vier Nachschlagewerke auf den kleinen Nachttisch und kroch zwischen die kalten königlichen Laken.

Im Raum lastete das Schweigen. Ich hörte die königlichen Sprungfedern quietschen, als Liebknecht seine Beine ausstreckte. Dann, als er sich umdrehte, um ein Buch zu nehmen, gab es plötzlich einen durchdringenden Lärm. Der spindelbeinige Nachttisch, eine Antiquität, war unter dem ungewohnten Gewicht revolutionärer Literatur zusammengebrochen. Die Lampe schlug auf den Boden, und eine der Birnen explodierte. Und die Soldaten der Revolution flohen. Bis auf den letzten Mann flitzten die hundert Matrosen halb in Panik aus dem Schlafzimmer. - Ben Hecht, Ein Kind des Jahrhunderts. [Auswahl] Siegen 1985

 

Revolution

 

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