Reverend  Reverend Short trat über die Schwelle, taumelte, als ob er kaum fähig wäre, sich auf den Beinen zu halten. Sein pergamentfarbenes, knochiges Gesicht war von rasender Wut verzerrt, und seine rotunterlaufenen Augen funkelten gefährlich hinter den glänzenden, goldgefaßten Brillengläsern.

«Ach du Grundgütiger», stieß Baby Sis voller Entsetzen aus. Ihr fettiges schwarzes Gesicht wurde grau, und ihre hervorquellenden Augen zeigten das Weiße, als ob sie ein Gespenst sähe. «Es ist tatsächlich Reverend Short.»

Reverend Shorts dünne, schwarzgekleidete Gestalt zitterte vor Zorn wie ein junges Bäumchen im Sturm.

«Ich habe dir doch gesagt, daß ich Reverend Short bin», sprudelte er hervor. Sein Mund hatte die gleiche Form wie das Maul eines Katzenfischs, und als er sprach, sprühte er Speichel über Dulcy, die herangekommen war und, den Arm um Mamies Schulter gelegt, neben ihr stand.

Dulcy fuhr wütend zurück und wischte sich das Gesicht mit dem winzigen schwarzen Seidentaschentuch, das sie in der Hand hielt und das ihre Trauerkleidung darstellte.

«Hören Sie auf, mich anzuspucken», fuhr sie ihn an.

«Er wollte dich doch nicht anspucken, Schätzchen», sagte Mamie besänftigend.

«Po' sinner stands a-trembling . . .» dröhnte Deep South. ' Reverend Shorts Körper zuckte krampfhaft, als ob er vor einem Anfall stünde. Alle starrten ihn neugierig an.

«. . . Stands a-trembling, Daddy Joe . . .» nahm Susi Q. die Melodie auf.

«Mamie Pullen, wenn Sie diese beiden Teufel nicht veranlassen, sofort damit aufzuhören, dieses schöne, alte Spiritual Steal Away zu verhunzen, dann schwöre ich bei Gott, werde ich nicht bei Big Joes Begräbnis predigen», drohte Reverend Short mit wuterstickter Stimme.

«Sie wollen doch nur ihre Dankbarkeit zeigen», schrie Mamie Pullen, um sich in dem allgemeinen Lärm verständlich zu machen. «Big Joe hat ihnen den Weg geebnet und ihnen weitergeholfen, als sie nichts als arme, selige Klimperer in Eddy Price' Bar waren. Jetzt versuchen sie nur, ihn auf seinem Weg in den Himmel zu begleiten.»

«Das ist keine Art, einen Toten in den Himmel zu begleiten», entgegnete Reverend Short heiser. Seine Stimme drohte nach dem vielen Schreien zu versagen. «Sie machen so viel Lärm, daß sie die Toten auferwecken könnten, die schon dort oben sind.»

«Ja, schon gut, Reverend. Ich sorge dafür, daß sie aufhören», sagte Mamie. Sie drängte sich zum Flügel hinüber und legte ihre runzelige schwarze Hand auf Deep Souths triefend nasse Schulter. «Das war alles wunderschön, Boys, aber jetzt könnt ihr mal Pause machen.»

Die Musik brach so plötzlich ab, daß Dulcys ärgerlich geflüstertes: «Mußt du dir von diesem hergelaufenen Prediger Befehle geben lassen, Tante Mamie?» in einen plötzlichen Teich des Schweigens fiel.

Reverend Short sah sie mit vor Bösartigkeit glitzernden Augen an.

«Sie sollten lieber den Dreck vor der eigenen Tür fegen, Schwester Perry, ehe Sie mich kritisieren», krächzte er.

Die darauf folgende Stille lag drückend über dem Zimmer.

Baby Sis hielt den Zeitpunkt für geeignet, um mit lauter, betrunkener Stimme herauszuplatzen: «Was ich wissen möchte, Reverend Short, wie kamen Sie überhaupt da draußen vor die Tür ?»

Der Bann war gebrochen. Alles lachte.

«Ich wurde durch das Schlafzimmerfenster hinausgestoßen», verkündete Reverend Short haßerfüllt.  - Chester Himes, Fenstersturz in Harlem. Reinbek bei Hamburg (rororo thriller 2348, zuerst 1959)

 

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