1. Leibliche Teile von Heiligen — Haar, Knochen, Zähne, »unverwesliches« Fleisch, Blut, Herzen — sowie Gegenstände, die bei Christi Leiden und Sterben eine Rolle spielten.
2. Teile von Kleidungsstücken und Gebrauchsgegenständen, die von Heiligen berührt wurden, sowie Werkzeuge, mit denen sie während ihres Martyriums gefoltert wurden.
3. Die letzte Klasse erweitert den Begriff der reliquiae über
den von »Überbleibseln« hinaus — bei diesen Reliquien ergibt sich die Verehrungswürdigkeit
nämlich daraus, daß sie mit Reliquien der ersten oder zweiten Klasse in
Berührung gebracht worden sind. Nach der Logik der Heiligenverehrung ist
die Fähigkeit, Wunder zu wirken, bei diesen sogenannten
Kontaktreliquien natürlich weniger eindrucksvoll als bei den Reliquien
der beiden anderen Klassen. -
(pan2)
Reste
(2)
Bleiben, so fragt man weiter, im Leichnam
Reste der Seele Denn mehr leidet der Körper an diesen ihm eigenen Mängeln,
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- (
luk
)
Rest
(3) Falls die Zauberer
den Hinschied des Patienten voraussagen, schickt die Familie
nach den Männern, die ausgewählt wurden, die Todgeweihten
hinzurichten. Die Männer kommen, packen den Kranken, pressen ihm etwas
auf den Mund, bis er erstickt. Danach wird der
Tote gekocht. Alle Verwandten
finden sich ein und verspeisen die Leiche. Sie essen sogar das Mark in
den Knochen. Sie sagen nämlich, es dürfe nicht das Geringste übrigbleiben.
Sie behaupten, auf dem kleinsten Rest würden sich Würmer
ansammeln und später an Futtermangel sterben. Der Tod der Würmer aber würde
der Seele der Verstorbenen großen Schaden und Qualen
verursachen, und zwar darum, weil auf deren Fleisch so viele Lebewesen
zugrunde gehen. Deshalb wird die ganze Leiche
verzehrt. - (
polo
)
Rest
(4 )
Rest
(5 ) Als Traumbild, schönes und
dekadentes Adelsgeschöpf, snobistische und grausame Königin des Faubourg Saint-Germain,
Virtuosin der geistreichen Konversation, ja sogar spöttelndes Abbild seiner
selbst, geht die Marquise dennoch den Weg aller Kreaturen Prousts:
Der Erzähler erkennt, daß letztlich keiner ihrer Reize je in ihr selbst gelegen
hat, sondern sie alle nur den Bildern seines wechselnden Begehrens Gestalt gegeben
haben. Ist das Begehren erloschen, verliert auch
diese Figur jede Gestalt, und übrig bleibt eine nackte, ihres schillernden Gehäuses
beraubte kleine Schnecke. - Ulrike
Sprenger, Proust-ABC. Leipzig 1997
Reste
(6 ) Ein Delir erlebst
du nicht mit, weil du nicht da bist; das Delir ist das Ende deiner geistigen
Gesundheit. Nach dem Delir, falls du es überstehst, lebst du mit deinen Resten.
Gesund wirst du nie mehr sein, einige werden nüchtern. Nüchtern ist, wer es
dann bleibt. Wenn du dich verwandelst in ein Wesen, das zittert wie ein Rohr
im Wind, während das Saufen ins Schütten übergeht, dann gehst du ins Delir.
- (
kap
)
Reste
(7 ) Da ich im Wirtshaus sowieso
allen schon zum Gespött war, fragte ich jeden einzelnen Gast, wo er beerdigt
sein wolle, und alle erschraken erst einmal, lachten dann aber Tränen und revanchierten
sich mit der Frage, wo ich denn begraben werden wolle, falls ich überhaupt das
Glück hatte, rechtzeitig von ihnen gefunden zu werden, denn den vorletzten Straßenarbeiter
hätten sie erst im Frühjahr entdeckt, und da sei er von den Spitzmäusen und
Mäusen und Füchsen so zernagt gewesen, daß sie nur ein Bündelchen Knochen beigesetzt
hätten, so viel wie ein Bund handelsüblicher Spargel oder wie ein paar Knochen
für eine prächtige Rinderbrühe.-
Bohumil Hrabal, Ich habe den englischen König bedient. Frankfurt am Main 1990
Reste
(8 ) »Was glaubst du, war das
Tier, Genaro?« fragte ich einen sehr alten Mann.
»Ein Hund von einer der Ranchos aus der Gegend. Was sonst?« »Es könnte ein diablero gewesen sein!« »Ein diablero? Du bist verrückt! Es gibt keine diableros.« »Willst du sagen, daß es heute keine gibt oder daß es nie welche gegeben hat?«
»Ja, irgendwann gab es welche. Das ist allgemein bekannt. Jeder weiß es. Aber die Leute hatten Angst vor ihnen und ließen sie alle töten.«
»Wer tötete sie, Genaro ?«
»Alle Leute des Stammes. Der letzte diablero, von dem ich wußte, war S—. Er tötete Dutzende, vielleicht sogar Hunderte von Leuten durch seine Zauberkraft. Wir konnten es nicht dulden, und die Leute kamen zusammen und überraschten ihn eines Nachts und verbrannten ihn lebend.« »Wie lange liegt das zurück, Genaro?« »Es war Neunzehnhundertzweiundvierzig.« »Hast du es selbst gesehen ?«
»Nein, aber die Leute sprechen noch davon. Sie sagen, daß keine Asche zurückblieb,
obwohl der Scheiterhaufen aus frischem Holz war. Am Ende war eine riesige Fettlache
übrig.« -
Carlos Castaneda, Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens. Frankfurt
am Main 1980
Reste
(9 ) Die Oniweig werden
als überirdische, unsichtbare Wesen beschrieben, deren geistige Fähigkeiten
gleichnishaft durch ihre Handlungen sichtbar werden. Menschen, Tiere und Geräte
werden von unsichtbaren Transportmitteln in ein ebenso unsichtbares Raumschiff-Labor
in 50 Kilometer Höhe geschleppt und untersucht; so steht es in Collins Tagebuch,
das er, selbst Opfer dieser grausamen Vivisektionen, in der Zeit, die ihm noch
dort oben blieb, sorgsam anfertigte. Gleich Menschen also, die die Geschöpfe
der Tiefsee erforschen, werden nun die Menschen selbst Forschungsobjekt einer
noch höher stehenden Spezies. Doch anders als die Menschen brechen die Oniweig
ihre Forschungen ab, als sie erkennen müssen, daß ihre Handlungsweise Unglück
und Leid stiftet. Die himmlischen Labore werden ausgekehrt und verlassen. Nichts
Lebendes hat die Untersuchungen überstanden. Als Leiber- und Knochenregen prasseln
die Überreste auf die Erde hinab. - Jörg Krichbaum, Rein A.Zondergeld: Die Sehnsucht der Sirene nach
dem Wasser. Die Welt des Maurice Renard. In: Polaris 4. Hg. Franz Rottensteiner.
Frankfurt am Main 1978 (Phantastische Bibliothek, st 460)
Reste
(10 ) Mit den Jahren ist es
um mich herum leer geworden, mein lieber Mortin. Der Beweis dafür, ich habe
nur noch dich zum Reden.
Womit ich dich nicht kränken möchte. - Robert Pinget, Tintenkleckse. Monsieur Traums letztes Notizheft,
Berlin 1997
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(12 ) Die betroffenen Stadtteile
wurden ganz abgesperrt. Man zog einen hohen Wall
darum; Steine gab es ja genug. An den Eingängen standen bewaffnete Posten. »Was
wollen Sie da«, sagte mir einer von ihnen, »es ist kein Vergnügen.« Man sah
Zuchthäusler in gestreiften Anzügen darin arbeiten. Sie sollten die Toten bergen.
Man erzählte sich, daß die Leichen, oder wie man die Reste ehemaliger Menschen
sonst nennen will, an Ort und Stelle verbrannt oder in den Kellern durch Flammenwerfer
vernichtet wurden. Aber in Wirklichkeit war es schlimmer. Sie konnten vor Fliegen
nicht in die Keller gelangen, sie glitschten auf dem Boden aus vor fingerlangen
Maden, und die Flammen mußten ihnen einen Weg bahnen zu denen, die durch Flammen
umgekommen waren. - Hans Erich Nossack, Der Untergang.
Frankfurt am Main 1987 (entst. 1943)