Renaissancemensch    In der Landschaft der italienischen Renaissance, in der unwegsame Gipfel und magische Wälder vorherrschen, steht dieser bizarre Schriftsteller an einem abgelegenen Ort, in einer phantastischen, schlangenreichen und entschieden finsteren Schlucht; er ist ein zuinnerst rachsüchtiger Schriftsteller, angetrieben von einer bedachtsamen Streitsucht, von einem privaten, einsamen Groll; er ist ein Melancholiker, wenn man diesem Wort noch etwas von seiner ursprünglichen Bedeutung läßt, die auch auf ein entlegenes Irresein anspielt.

Als Komödienschreiber, »comediaio«, wie er sich [in Anlehnung an die die Namen der Handwerker wie calzo-laio oder fornaio] selbst nennt, ist er ein kluger, unterhaltsamer Schriftsteller, dem aber die saubere Linienführung des guten Literaten niemals fehlt; und seine Komödie Il frate (Der Klosterbruder) — der die Ehre zuteil wurde, für ein Werk Machiavellis gehalten zu werden — enthält im Keim schon jene zugleich schadenfrohe und saturnische Menschenfeindlichkeit, die in den Rime (seinen Gedichten) und in den Novellen Triumphe feiert.

Während sich Lasca in den Komödien sprachlich zurückhält, läßt er in den Rime seiner rüpelhaften, scharten Sprachphantasie freien Lauf; und schon werden die Umrisse seiner verärgerten Böswilligkeit erkennbar, die er m den Novellen, den Cene, vollends loslassen wird. Als streitsüchtiger Schriftsteller wird er zuallererst mit der Sprache handgemein; denn er bedient sich ihrer mit verdächtiger, sogar erniedrigender Tyrannei. Nach Dichterbrauch empfiehlt er sich den Musen: die für ihn zuständigen müssen jedoch schmutzig und obszön sein; in einem unvergeßlichen Vers nennt er sie »scheinheilig und vollarschig«.

Wenngleich der Lasca Zuflucht beim Hohn sucht, spricht er mit kühler Verzweiflung vom Leben: »ein Meer, das endlose Flüsse aufnimmt,/ jeglicher Krankheit voll«; ein Ort, wo »Mist, Gestank, Fäulnis,/ Wirrnis und Säure« herrschen; eine »verdichte und versaute« Welt, über die heuchlerisch ein »Schweinemond« scheint. Das schlechte Wetter erregt ihn, er ist verliebt in den kalten, klaren Nordwind, den »Dreckfresser«; er ist aber auch unvermittelt zu einer Erlesenheit fähig wie etwa in dem Sonnett an Firenzuola: »du Mahler der Kometen«, »Herold oder Dragoman der Feen«.

Lascas Novellen gehören ohne jeden Zweifel zu den großen Büchern der italienischen Novellendichtung: insgesamt zweiundzwanzig Novellen, davon einige von unvergeßlicher schurkischer und irrwitziger Intensität. Als Sadist ist Lasca eine große Seltenheit in der italienischen Literatur. Er lacht noch über den entsetzlichsten Scherz, über den grauenvollsten Tod, über Menschen, die vor Schrecken den Verstand verlieren, die mit sadistischer Langsamkeit kastriert und aus reinem Vergnügen gequält werden. »Ein Paradies, in dem Teufel wohnen«, sei dieses Florenz, heißt es geistreich in einer seiner Komödien. Und dieses Paradies zerfleischt er mit einer langsamen Wut, die nach Wahnsinn schmeckt; von verhohlenem Haß erfüllt, kennt er nicht einmal rhetorisches Mitleid: die Pestepidemie ist für ihn nur »staunenswert«, weil Boccaccio davon erzählt; Unglück interessiert ihn nämlich nicht.

Seine Vorstellung von Literatur ist grausam. Im Mittelpunkt dessen, was er erfindet, steht die burla, die Posse, der böse Streich. Die Possen in diesen Erzählungen sind erbarmungslose Machenschaften, Erfindungen einer Phantasiewelt, in deren illusorischen Labyrinthen sich das Opfer verirrt, wo es gepeinigt wird, den Verstand verliert und entweder stirbt oder unheilbar verunstaltet davonkommt, nur in sehr seltenen Fällen wird ihm die freilich entehrende Gnade der Flucht gewährt. Es wimmelt auf diesen Seiten von Verrückten und Schwachsinnigen - man denke nur an den dümmlichen, mystischen Falananna, der immerfort sterben möchte —, aber in Wahrheit trägt Lascas Prosa insgesamt das Mal des Mißgestaltigen, das Mal eines verbrecherischen Spaßes, das uns an die elisabethanische Literatur, an die geistesabwesenden Giftmischer bei Hof gemahnt: und seine schroffe und extravagante Sprache ist Posse und zugleich Indiz der zwar beherrschten, aber nie ganz unterdrückten Raserei eines »Melancholikers«.  - Giorgio Manganelli, Vorwort zu: Antonfrancesco Grazzini, Feuer auf dem Arno. Berlin 1988 (zuerst ca. 1550)

Menschen, wirkliche Renaissance

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB

 

Synonyme