Rekrutierung, gegenseitige    Die Psychologin war eine aufgeklärte Person: ausgebildete Privateigentümerin ihrer Person, so dem unausgebildeten Grundeigentümer Maximilian, der seine Seele sozusagen nicht innehatte, überlegen. Es stand fest, daß sie obsiegen würde nach dem Gesetz »des eingestandenen Eigennutzes rastloser vielgewandter Aufklärung« über »den lokalen, weltklugen, biederen, trägen und phantastischen Eigensinn des Aberglaubens«. Der Zuhälter (sie hatte sein Geschäft rasch erraten) hielt aber die Psychologin für einen Glücksbringer, sein Interesse allein darauf gerichtet, sie für seinen Dienst zu gewinnen, da er mit einem solchen Pferd alle Kenner zu gewinnen trachtete. Er wollte die ihm Anvertrauten künftig psychologisch schulen lassen und als Krönung seiner Angebots- und Preisliste diese hübsche und intelligente Natur ver-makeln, versprach sich Sonderpreise davon. Das Problem sah er darin, wie er in körperliche Berührung geriete, so daß sich sein Wille wie ein elektrischer Strom auf sie übertrüge. Da sie in Doppelstunden nicht einwilligte, erwartete er sie am Ende des Tages und wollte partout die Tasche tragen, wenn sie zum Bahnhof ginge.

Die aufgeklärte Frau, in unbrauchbarem Vertrauen auf ihre Seelenkenntnisse (sie waren zentralistisch) beging den Fehler, zuzulassen, daß dieser lokale Typ wie ein Hund sie begleitete. Sie hielt das unter therapeutischen Gesichtspunkten für vertretbar, da sie ja diagnostiziert hatte, daß ihm psychisch nichts fehlte. Er war nur unangepaßt: hatte er seinen Rayon durchorganisiert, d. h. war nichts weiteres zu erobern, so äußerte sich die unverbrauchte Aggressivität in Gewartmaßnahmen. Sie bezeichnete das als »Ausdruck des Unglaubens an gefahrlosem Besitz«. Dies war einer psychologischen Deutung nicht näher zugänglich, sondern es kam darauf an, diese wertvolle und robuste Energie »höhergesteckten Zielen« zuzuwenden, die die Defensivkraft dieses Kroaten absorbierten. Es schien ihr des Ehrgeizes wert, daß sie ihm Tips gab. Sie wollte ihn gewissermaßen außerdienstlich, aus Lust am Voranbringen, in den Dienst seiner selbst bringen; also, aufgeklärt, nicht etwa selber moralische Zuhälterin dieses Zuhälters werden — das wäre Eigennutz —, sondern ihn zu einem besseren Zuhälter seiner selbst gewinnen.

Solange sie ihn in Einzelstunden porträtiert hatte war ihr ausgebildeter, aber ohne Eigennutz schwächerer Impuls vor den Einwirkungen dieses Mannes geschützt: durch Zeitzerstückelung, die ihm keine Ansatzfläche bot, aber auch durch die Konkurrena der übrigen Patienten, zwischen denen sie sich teilte. Das war, wenn er, sich als Sklave, herrenloses Gut, anbietend, neben ihr den Weg zur Bahnstation entlangtrabte, so nicht der Fall. Sie war als Ganze da und als Ganze hatte sie Wohlgefallen am aufgefundenen herrenlosen Gut. Sie nahm den hübschen Jungen innerlich in Besitz, wollte ihn fördern. Nur Eigennutz verbot sie sich.

Der träge, biedere, phantastische Bestand ihres zähen Begleit-Hundes vermochte aber gut zu beobachten, daß niemand in der Welt - Privateigentum getrennt von Eigennutz bilden kann, auch nicht eine Zentralistische mit ihrem Vermögen »Unwichtiges zu übersehen«. Sie wird dann seiher zum herrenlosen Gut und kann aufgesammelt werden.   - Alexander Kluge, Die Patriotin. Texte/Bilder 1-6. Frankfurt am Main 1979

Rekrutierung Gegenseitigkeit

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