Vier riesige Wagen, bedeckt mit Plakaten und Bildern, die allerlei Zauberkunststücke darstellten, eröffneten den Zug. Dann kamen vierundzwanzig Männer, von denen jeder ein Plakat trug, auf dem ein Buchstabe von einem Meter Höhe aufgemalt war.
An jeder Ecke blieben die Wagen nebeneinander stehen und bildeten ein Plakat von zwanzig bis fünfundzwanzig Meter Länge, während auf das Kommando eines Anführers alle Männer, mit anderen Worten alle Buchstaben, dem Beispiel der Wagen folgten und nebeneinander Aufstellung nahmen.
Von vorn gesehen bildeten die Buchstaben die Worte: The Celebrated Anderson!!! "
Und auf ihrer Rückseite war zu lesen: The Great Wizard of the North. Unglücklicherweise waren die Vorstellungen des Wizard von einer tödlichen Krankheit befallen: dem zu langen Aufenthalt in London, der das Publikum übersättigt hatte. Außerdem war sein Repertoire veraltet, er konnte es nicht mit den neuen Kunststücken aufnehmen, die ich vorführen würde. Was hatte er dem Zweiten Gesicht entgegenzusetzen, dem frei schwebenden Knaben, der Unerschöpflichen Flasche, der Zeichenmappe, dem Verschwindenlassen meines Sohnes usw. Er sah sich also gezwungen, sein Theater zu schließen und in die Provinz zu gehen, wo es ihm dank seiner gewaltigen Reklame wie immer gelang, ausgezeichnete Geschäfte zu machen.
Ich habe im Leben so manchen Reklamespezialisten kennengelernt, doch ich kann sagen, daß ich nie einen getroffen habe, der an Anderson herangekommen wäre. Das zitierte Beispiel mag bereits einen Eindruck von seiner Arbeitsweise geben, ich möchte aber noch andere hinzufügen, um ein Bild von diesem Mann zu entwerfen.
Wenn Anderson in einer Stadt Vorstellungen geben sollte, die bereits mit beträchtlicher Reklame angekündigt wurden, gelanges ihm, seine Annoncen sogar Leuten vor Augen zu bringen, die weder Zeitungen lasen noch auf die Plakate sahen.
Zu diesem Zweck ließ er bei allen Butterhändlern der Stadt hölzerne Buttermodel verteilen, auf denen sein Name, sein Titel und der Beginn seiner Vorstellung eingeschnitzt waren, mit der Bitte, ihre Ware mit seinem Stempel zu versehen, anstelle des gewöhnlichen Stempels, der eine Kuh darstellte. Da es keine einzige Familie in England gibt, die nicht zum Frühstück, wenn nicht sogar zu allen Mahlzeiten Butter ißt, wurde jedermann schon am Morgen, ohne daß dem Künstler irgendwelche Kosten entstanden wären, aufgefordert, dem berühmten Zauberer aus dem Norden einen Besuch abzustatten.
Oder Anderson schickte noch vor Tagesanbruch ein Dutzend Männer mit jenen riesigen Schablonen auf die Straße, die in Paris lange Zeit dazu verwendet wurden, Anzeigen auf die Mauern zu malen. Die Männer in London beschrifteten die Gehsteige, die bekanntlich in England äußerst rein sind, mit den Ankündigungen der Vorstellungen des Zauberkünstlers. Ob er wollte oder nicht, mußte jeder Geschäftsmann, jeder Einwohner, der zu seiner Arbeit ging, den Namen Anderson und das Programm seiner Vorstellung lesen. Es ist richtig, daß diese Ankündigungen einige Stunden später durch die Fußgänger verwischt wurden, doch Tausende von Passanten hatten sie zuvor gelesen. Und mehr wollte der Wizard ja nicht.
Seine Plakate waren nicht weniger originell. Eines Tages wurde mir eines gezeigt, das seine Wiederkehr nach langer Abwesenheit von London ankündigte. Es war die Nachahmung des berühmten Bildes von der Rückkehr Napoleons von der Insel Elba.
Im Vordergrund war Anderson in der Pose des berühmten Korsen zu sehen. Über seinem Kopf wehte eine Riesenfahne mit der Inschrift »Das Weltwunder«. Hinter ihm, ein wenig im Halbschatten, waren der Zar von Rußland und mehrere andere Monarchen zu erkennen. Ebenso wie auf dem Originalbild umarmten fanatische Anhänger des Zauberers seine Knie, während eine ungeheure Menschenmenge ihn mit Beifall empfing. In der Ferne erkannte man die Reiterstatue General Wellingtons, der sich mit gezogenem Hut vor ihm, dem Großen Zauberer, verbeugte. Sogar der Turm der Saint-Pauls-Kathedrale verneigte sich untertänigst. Darunter stand: Die Rückkehr des Napoleons der Nekromantie.
Hätte man dieses Bild ernst genommen, so wäre es eine überaus geschmacklose Reklame gewesen; als Karikatur war es wirklich komisch. Es hatte übrigens sowohl die Wirkung, das Londoner Publikum zu erheitern, als auch, dem geschickten Scharlatan zahlreiche Shillings einzubringen.
Wenn Anderson im Begriffe stand, eine Stadt zu verlassen, in der er alle Reklamemöglichkeiten bereits erschöpft und in der er nichts mehr zu erhoffen hatte, kannte er noch eine Möglichkeit, gewaltige Einnahmen zu erzielen.
Er bestellte bei dem besten Goldschmied der Stadt eine Silbervase für fünf- oder sechshundert Franken, mietete nur für einen Tag das größte Theater oder den größten Saal des Ortes und ließ verkünden, der Wizard werde eine große Abschiedsvorstellung geben, bei der während der Pause unter den Zuschauern ein Wettbewerb für den besten Kalauer abgehalten werden sollte.
Die Silbervase würde der Preis für den Sieger sein. Bekanntlich hat das englische Volk eine besondere Vorliebe für Wortspiele.
Man stellte eine Jury aus den ersten Notabeln der Stadt zusammen, um gemeinsam mit dem Publikum den Wert jedes Kalauers zu beurteilen.
Man vereinbarte, daß bei Scherzen, die für gut befunden wurden,
applaudiert werden solle, bei den mittelmäßigen würde man schweigen
und bei den schlechten murren (in England wird zum Zeichen der
Ablehnung nicht gepfiffen, sondern gemurrt). Die Plätze wurden
im Vorverkauf abgesetzt, der Saal war völlig ausverkauft. Man
kam weniger der Vorstellung wegen, die man bereits kannte, als
zum Vergnügen, in der Öffentlichkeit seinen Witz zu zeigen. Jeder
brachte sein Wortspiel vor und wurde mehr oder weniger günstig
aufgenommen; am Ende verlieh man dem witzigsten von allen den
Preis. Jeder andere hätte sich damit begnügt, die gewaltige Einnahme
zu kassieren, die ihm die Vorstellung einbrachte, doch »der Große
Zauberer aus dem Norden« hatte sein letztes Wort noch nicht gesprochen.
Bevor das Publikum den Saal verließ, verkündeteer, daß er einen
Stenographen beauftragt hatte, alle Wortspiele mitzuschreiben,
und daß die Sammlung bei allen größeren Buchhändlern der Stadt
zum Verkauf kommen werde. Jeder einzelne Zuschauer, der ein Wortspiel
beigetragen hatte, war gar nicht böse darüber, es gedruckt zu
sehen, und kaufte das Büchlein für einen Shilling. Man kann sich
vorstellen, wie viele Exemplare abgesetzt werden konnten, wenn
man die Anzahl der gedruckten Wortspiele berücksichtigt. Ich
besitze ein solches Büchlein, das in Glasgow gedruckt ist und
das Datum vom 15. März 1850 trägt; es enthält nicht weniger als
1091 solcher Kalauer. - Die Memoiren des Zauberers
Robert-Houdin. Hg. Alexander Adrion. Frankfurt am Main 1981 (it
506, zuerst 1858)
- (
pas
)
Reklame (3) Der Industrielle lächelt.
»Unfälle! Ja, Unfälle kommen wohl vor. Schließlich gehen wir mit gefährlichen Stoffen um. Bei der ersten Explosion kamen fünfzehn Mann ums Leben, bei der zweiten nur noch zehn. Aber diese Katastrophen machen für ein Haus auch Reklame, kostenlos und sehr wirkungsvoll. Übrigens brauchen wir den Familien der Opfer nichts zu zahlen, denn wir haben alle vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen beachtet. Verstehen Sie recht, ich will nicht sagen, das sei immer so. Man würde sich ja ruinieren. Aber wenn nach vorheriger Anmeldung Inspektoren zu uns kommen, dann... Das ist eine Frage der Courtoisie. Wir, die Industriellen, ernähren auch die Inspektoren... Na also, das ist eine gute Reklame für uns! Und das Massenbegräbnis! Alle Herzen vereinen sich im gemeinsamen Schmerz! Keine Klassenunterschiede mehr! Die Einheit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, man weint die gleichen Tränen zu den Klängen eines De Profundis! Schließlich sind die Fabrikgebäude versichert.«
»Das ist immerhin ein Trost«, sagt Issacar. - Georges Darien, Der Dieb.
Nördlingen 1989 (Die Andere Bibliothek 54, zuerst 1896)
Reklame (4) Man hat Dada seine Reklamesucht vorgeworfen, man warf ihm Schwindel und Lüge vor.
Dada hat niemals zu dem später von Mussolini und Hitler angewandten Verfahren "je grösser die Lüge ist, desto eher wird sie geglaubt" Zuflucht genommen.
Die Massenpsychologie Dada's war aufgebaut auf der Erkenntnis, dass das "Wunderbare" der Romantiker im beginnenden Zeitalter der Reklame wirkungslos ward. Dada setzte an Stelle der Blauen Blume die Wirkungen des Überraschenden und des Ungewöhnlichen. Schon das Wort "dada" rief Erstaunen und Neugier hervor, die sich meist sofort in Ablehnung und Wut beim Publikum verwandelte, ohne aber seine Anziehungskraft zu verlieren. Wenn sich trotzdem die Zuschauer oft enttäuscht fühlten, so war dies nicht die Schuld der Dadaisten oder Dada's, sondern die engstirnige Borniertheit und Auffassungsunfähigkeit selbst der Intellektuellen.
Es ist unzweifelhaft, dass Tristan Tzara ein Genie der Ueberraschungseffekte war, und dass ohne seine wuchernde Phantasie Dada niemals seinen Weltruf erlangt hätte. Er wurde in seinen Bemühungen reichlich von Walter Serner unterstützt.
Gewiss, bereits die Futuristen unter Marinetti's Leitung waren gute Propagandisten
gewesen. Ihre lärmenden Erfolge waren darauf aufgebaut, dass das "Publikum"
im Allgemeinen Neues nicht ertragen kann, obzwar es aus Sensationslust sich
zu diesem neuen Unbekannten hingezogen fühlt. Heue Ideen, das mag noch
angehen, aber neue Optiken, cin neues Sehen - nichts kann den Bürger wütender
machen, als ein ungewohntes Bild. - Raoul Hausmann,
Aussichten oder Ende des Neodadaismus. Nach: Adelheid
Koch, Ich bin immerhin der größte Experimentator Österreichs.
Raoul Hausmann - Dada und Neodada. Salzburg 1994
Reklame (5) Schwitters' Sinn
für Werbung war ebenso ausgebildet wie seine anderen wachen Eigenschaften. Wenn
er mich — in den frühen zwanziger Jahren - iri meinem Atelier in Friedenau
besuchte, das die 5. Etage eines äußerst kleinbürgerlichen Hauses krönte, und
in dem ich wegen nächtlicher Unruhen und verdächtiger Besucher höchst unbeliebt
war, beklebte er die schönen bunten Glasfenster im Treppenhaus — den Heiligen
Georg, den Nepomuk oder irgendeine Königin — mit Klebezetteln voll >Anna
Blume< oder >Tretet Dada bei<. Der Klebestoff,
den er benutzte (Wasserglas), verhinderte das Abwaschen und brachte mir in Verbindung
mit vielen anderen Delikten meine endgültige Kündigung ein. -
Hans
Richter, Dada - Kunst und Antikunst.
Köln 1964
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